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KONTEXT
Am 15. Dezember 2015 stellte die EU-Kommission die Pläne für eine neue Agentur zum europäischen Grenz- und Küstenschutz vor. Am selben Tag kritisiert der Vorsitzende der Linkspartei Bernd Riexinger die europäische Flüchtlingspolitik und insbesondere die Pläne der EU-Kommission als „menschenverachtende[n] Dreiklang“ aus „[a]bschotten, abschrecken, abschieben“. Eine EU-weite solidarische Lösung sehe DIE LINKE eher in einer „Flucht-Umlage“, an der alle EU-Mitgliedstaaten beteiligt wären, entweder durch Aufnahme von Flüchtlingen oder durch entsprechende Ausgleichszahlungen.
Das Ziel der neuen Agentur zum europäischen Grenz- und Küstenschutz ist es, gemeinsame Standards beim Außengrenzschutz zu gewährleisten sowie Migration wirksam zu steuern und dabei gleichzeitig die Freizügigkeit von EU-BürgerInnen zu wahren. Im Gegensatz zu FRONTEX soll die neue Agentur mehr eigenes Personal sowie umfangreichere finanzielle und technische Ausrüstung erhalten. Sie könnte u.a. in Eigeninitiative Rückführungen von Personen ohne Aufenthaltsrecht organisieren und bei einem drohenden Zusammenbruch des Schengen-Systems direkt an den EU-Außengrenzen eingreifen.
FAKTENCHECK
Regulierung der Einwanderung: Da die Schengen-Staaten Binnengrenzkontrollen abgeschafft haben, verlagern sich der Grenzschutz sowie dauerhafte Grenzkontrollen an die Schengen-Außengrenzen (siehe Factsheet Grenzzaun). Mitgliedstaaten wie Griechenland oder Italien können dies aber angesichts der gestiegenen Flüchtlingszahlen und ihrer langen Seegrenzen nicht mehr alleine bewältigen, sodass die EU unterstützend eingreift, was hier von Riexinger als „Abschottung“ interpretiert wird. Ziel der neuen EU-Agentur soll jedoch die Regulierung der Zuwanderung und nicht deren Unterbindung sein. Darüber hinaus soll den Gefahren der irregulären Einreise entgegengewirkt werden. Auch mit der Dublin-III-Verordnung verfolgt die EU keine Abschottungspolitik, sondern reguliert, in welchem EU-Staat Asylanträge gestellt werden (in dem Land, in dem AntragstellerInnen zuerst EU-Boden betreten haben).
Zusätzliche Schaffung von regulären Einreisemöglichkeiten: Die EU-Türkei-Erklärung vom März 2016 baut auf den Gemeinsamen Aktionsplan vom 29. November 2015 auf und ist in die Migrationsagenda der Juncker-Kommission eingebettet. Sie zielt auf die Entlastung Griechenlands durch die Schaffung von regulären Einreisemöglichkeiten, nachdem ein Umverteilungsmechanismus innerhalb der EU in einzelnen EU-Staaten auf Widerstand gestoßen ist (siehe Factsheet Lastenteilung). Sie verlagert damit jedoch die Fluchtproblematik zunächst in die Türkei, um den Zuwanderungsdruck auch in der gesamten EU zu mindern (siehe Factsheet 1:1-Mechanismus). Die Erklärung sieht dabei vor, dass eine irreguläre Einreise von der Türkei nach Griechenland mit Rückführung geahndet wird, die EU im Gegenzug jedoch syrischen Flüchtlingen aus der Türkei eine reguläre Einreise in die EU ermöglicht. Gleichzeitig werden die Ausweitung sicherer Herkunftsländer und die Vereinheitlichung von Asyl-Anerkennung (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) diskutiert. Neben der EU-Türkei-Erklärung sind nun ähnliche Vereinbarungen zwischen der EU und weiteren Drittländern sowie ein permanenter Neuansiedlungsrahmen der EU in Planung.
Erwartungshaltung zu Asylchancen: Keinen Anspruch auf Asyl haben sog. WirtschaftsmigrantInnen. EU-Ratsvorsitzender Donald Tusk warnte davor, den falschen Versprechungen der SchlepperInnen zu glauben sowie Leben und Geld zu riskieren, wenn keine realen Chancen auf Asyl in der EU bestünden. Einzelne Mitgliedstaaten führen ähnliche Kommunikationskampagnen durch. Die Information über reale Asyl-Chancen dient daher nicht nur der Abschreckung, sondern soll auch über die Gefahren der irregulären Einreise aufklären.
Abschreckung: Die neu eingerichtete Agentur zum Grenz- und Küstenschutz kann der Abschreckung dienen, weil sie über Interventions- und Rückführungsrechte verfügt und somit irreguläre Grenzübertritte verhindern soll. Auch die EU-Türkei-Erklärung dient durch den 1:1-Mechanismus (siehe Factsheet 1:1-Mechanismus) und der damit verbundenen erzwungenen Rückkehr in die Türkei der Abschreckung vor eigenmächtiger und irregulärer Einreise in die EU.
EU-Kompetenzen und Differenzierung von Fluchtursachen: Asyl kann nur durch Staaten gewährt werden. Die EU hat diesbezüglich keine Kompetenz und schiebt daher auch nicht selbst ab. Die Prüfung der Asylanträge erfolgt auf individueller Basis und richtet sich nach dem Herkunftsland sowie der Schutzbedürftigkeit einer Person. Notsituationen wie Armut, Krieg und Perspektivlosigkeit werden hier unterschieden, sind aber jeweils kein Grund für eine pauschale Asylgewährung. Differenzierung zwischen Fluchtmotiven wie auch das Abschieben von Menschen, die nicht als schutzbedürftig befunden werden, stellen keinen Bruch mit dem Völkerrecht dar. Staaten dürfen hingegen nach dem völkerrechtlichen Prinzip der Nicht-Zurückweisung niemanden abschieben, der schutzbedürftig ist oder dem Gefahr im Drittstaat droht.2 Die EU hat diesen Prämissen entsprechende Maßnahmen entwickelt wie beispielsweise die Registrierungszentren (sog. Hotspots) in Griechenland und Italien, die ankommende Schutzsuchende schneller registrieren und ihren Schutzbedarf prüfen.
Frontex-Maßnahmen: Mit der geplanten Agentur zum europäischen Grenz- und Küstenschutz soll die Zahl der in der EU ankommenden Flüchtlinge reduziert und Schlepperkriminalität bekämpft werden. Laut Verordnung des EU-Parlaments und des Rates der Europäischen Union vom 15. Mai 2014 dürfen Flüchtlingsschiffe von FRONTEX nach dem Prinzip der Nicht-Zurückweisung nicht abgedrängt oder zurückgewiesen werden, wenn dadurch den an Bord befindlichen Personen Gefahr droht. Zudem muss FRONTEX – unabhängig von der Nationalität der betroffenen Person – Seenotrettung leisten.3 Gleiches gilt für die militärische Mission EUNAVFOR MED Operation „Sophia“ – diese hat bisher 19.100 Personen auf See gerettet (Stand: 13.2.2017).4 Auch die Missionen „Triton“ und „Poseidon Sea“ führt FRONTEX primär zur Verhinderung irregulärer Einwanderung und grenzüberschreitender (Schleusungs-)Kriminalität durch.
Riexinger kritisiert die EU-Flüchtlingspolitik pauschal als „menschenverachtend“. Richtig ist, dass sich mit der gegenwärtigen Flüchtlingsproblematik die Prioritäten der EU hin zu einem verstärkten Schutz der Außengrenzen und zur Regulierung der Migration verschoben haben. Dies ist aber für den Schutz des Schengenraums notwendig, da an den EU-Binnengrenzen seit 1985 keine dauerhaften Kontrollen mehr stattfinden. Das Menschenrecht auf Asyl bleibt davon jedoch unangetastet. Nichtsdestotrotz hat die Flüchtlingspolitik der EU eine abschreckende Wirkung und eine verstärkte Sicherung der Außengrenzen findet statt.
Kontrolle und Schutz der Außengrenzen sorgen zwar für mehr Sicherheit, lindern aber nicht den Migrationsdruck in den Herkunftsländern der Flüchtlinge. Daher sind weitere übergreifende Maßnahmen auf europäischer Ebene nötig, die Aufnahmestaaten nicht überlasten und gleichzeitig die Freizügigkeit für EU-BürgerInnen erhalten, wie etwa in der EU-Migrationsagenda vom Mai 2015 beschlossen. Eine solche Maßnahme könnte auch Riexingers „Flucht-Umlage“ sein, nach der Länder, die weniger Flüchtlinge aufnehmen, finanzielle Ausgleichszahlungen leisten müssen und die somit eine gesamteuropäische und solidarische Lösung vorsieht.
Die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX koordiniert die operative Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten beim Schutz der Außengrenzen. Einzelne FRONTEX-Missionen werden auf Antrag eines Mitgliedstaates durchgeführt. Der individuelle Ressourcenbedarf von FRONTEX wird an die restlichen Mitgliedstaaten und Schengen-assoziierten Länder weitergeleitet. Diesen steht es frei, sich an einem gemeinsamen Vorgehen („Joint Operation“) zu beteiligen. Die wichtigsten Missionen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise im Mittelmeer sind Triton und Poseidon5:
Triton besteht seit November 2014 und wurde als indirektes Nachfolgeprogramm des italienischen Seenotrettungsprogramms „Mare Nostrum“ im Rahmen von Frontex konzipiert. Zur Überwachung der Grenzen und zur Bekämpfung von SchleuserInnen werden Patrouillenschiffe vor der italienischen Küste eingesetzt. 23 Staaten sind an der Mission beteiligt; das Budget für 2015 lag bei 38 Millionen Euro.
Poseidon Sea als seit 2013 bestehende Mission soll ähnlich wie Triton die Verhinderung von illegaler Einwanderung und grenzüberschreitender Kriminalität bewirken. Der Einsatz findet im östlichen Mittelmeer, v.a. vor Griechenland statt. An Poseidon Sea sind 23 Staaten beteiligt; der Finanzrahmen lag im Jahr 2015 bei 18 Millionen Euro.
Auf nationaler Ebene durchgeführtes Programm:
Mare Nostrum ist ein Seenotrettungsprogramm in den Gewässern zwischen Italien und Libyen, das Italien im Oktober 2013 nach der Tragödie von Lampedusa ins Leben gerufen hat. Das Programm wurde im November 2014 indirekt durch die Frontex-Mission Triton ersetzt. Italien finanzierte den Einsatz mit monatlich etwa 9 Millionen Euro.
Militärisches Programm:
EU NAVFOR MED Operation Sophia4 ist eine militärische Krisenbewältigungsoperation der EU zur Bekämpfung von Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzen bzw. SchleuserInnen, bestehend seit Juni 2015. Das Einsatzgebiet ist das südliche zentrale Mittelmeer zwischen libyscher/tunesischer und italienischer Küste. Deutschland ist neben 13 weiteren Staaten mit 950 Bundeswehr-Soldaten an der Operation beteiligt. Das Budget für die ersten 14 Monate liegt bei knapp 12 Millionen Euro.
Wo finde ich diese Informationen?
1. Pressemitteilung der Partei DIE LINKE: Die EU setzt auf Grenzschutz statt Menschenschutz, 15.12.2015, https://www.die-linke.de/nc/die-linke/nachrichten/detail/artikel/die-eu-setzt-auf-grenzschutz-statt-menschenschutz/ (letzter Zugriff: 22.2.2017).
2. Genfer Flüchtlingskonvention Artikel 33:
http://www.unhcr.de/fileadmin/user_upload/dokumente/03_profil_begriffe/genfer_fluechtlingskonvention/Genfer_Fluechtlingskonvention_und_New_Yorker_Protokoll.pdf (letzter Zugriff: 22.2.2017).
3. Verordnung Nr. 656/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, 15.5.2014,
http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0656&from=DE (letzter Zugriff: 22.2.2017).
4. Bundeswehr: Der Einsatz der Bundeswehr im Mittelmeer: EUNAVFOR MED – Operation Sophia, 13.2.2017,
http://www.einsatz.bundeswehr.de/portal/a/einsatzbw/!ut/p/c4/LYuxDYAwDARnYYG4p2MLoEEOeZAVJ0HBgMT0pEBf3emeZmrLfMvOJiWz0kjTKr1_nH8CFkg-2d6GHO2C6q9gLxyu9txKTQguoP6tpCRm0ARUOuLQfXgJ-yA!/ (letzter Zugriff: 22.2.2017).
5. Frontex: Frontex weitet die die Operation TRITON aus, Pressemitteilung, 26.5.2016,
http://frontex.europa.eu/news/frontex-expands-its-joint-operation-triton-udpbHP (letzter Zugriff: 3.8.2016).