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KONTEXT


Alexander Gauland kritisiert die von der EU-Kommission am 13. Mai 2015 verabschiedete Migrationsagenda und vor allem die darin enthaltene Quote zur Umverteilung und Neuansiedlung von Schutzbedürftigen, wodurch seiner Ansicht nach ein „europaweites Ansiedelungsprogramm“ geschaffen werde. Anstatt lediglich politisch Verfolgten Schutz zu gewähren, käme diese Quote einer Einladung an sog. „WirtschaftsmigrantInnen“ gleich und würde somit nicht mehr dem eigentlichen Ziel des Asylrechts entsprechen.

Die europäische Migrationsagenda der EU-Kommission entstand als Antwort auf die zunehmende Einwanderung nach Europa.2 Diese umfasst daher Sofortmaßnahmen sowie langfristige Pläne für eine stärkere europäische Zusammenarbeit bei der Steuerung von Migration. Ziele der Agenda sind

  • die Reduzierung der Anreize für irreguläre Migration,
  • die Sicherung der Außengrenzen und Lebensrettung an denselben,
  • die Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS)3 und eine Harmonisierung der Asylsysteme sowie
  • die Schaffung neuer regulärer Zuwanderungsmöglichkeiten.

Daneben enthält die Agenda auch Vorschläge für einen Verteilungsschlüssel („Flüchtlingsquote“) zur gerechten Umverteilung von 160.000 Schutzbedürftigen in der EU, welche im Juli4 bzw. September2015 verabschiedet wurden (siehe Factsheet Lastenteilung). Eine EU-weite Liste sicherer Herkunftsstaaten wird ebenfalls angestrebt.6

FAKTENCHECK


EU-Kompetenzen und klare Asylkriterien: Die EU besitzt hierzu nicht die nötige Kompetenz, nicht zuletzt da sie selbst keine Asylanträge prüfen kann. Zudem werden ausdrücklich nur Personen umverteilt, die „unzweifelhaft internationalen Schutz benötigen“5 – die Kriterien für nationalstaatliche Asylgewährung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) bleiben unverändert. Bei Nichterfüllung der Asylkriterien sind Drittstaaten international zur Rücknahme eigener Staatsangehöriger verpflichtet. Instrumente wie die systematische Identitätsfeststellung und das Erfassen von Fingerabdrücken sowie Maßnahmen, die einem Missbrauch des europäischen Asylsystems entgegenwirken sollen (z.B. Stärkung des Prinzips des sicheren Herkunftsstaats in der Asylverfahrensrichtlinie),2 stärken insgesamt das GEAS und tragen dazu bei, unbegründete Asylanträge zeitnah zu bearbeiten und Rückführungen besser zu organisieren.

Umsiedlung statt Ansiedlung: Ein Großteil der 160.000 Schutzsuchenden, die über die vom Rat der EU im Juli bzw. im September 2015 beschlossenen Quote umverteilt werden sollen, befindet sich bereits innerhalb der EU. Die von Gauland als „europaweites Ansiedlungsprogramm“ angesprochene Neuansiedlung betrifft lediglich die auf Vorschlag der EU-Kommission7 in der Ratsentschließung im Juli 2015 beschlossene Anzahl von 20.000 eindeutig schutzbedürftigen Personen aus Bürgerkriegsgebieten.8 Derartige Neuansiedlungen sind auch keinesfalls neu: In der Vergangenheit wurde dies bereits mit  Bürgerkriegsflüchtlingen, z.B. aus dem Irak und aus Afghanistan, praktiziert.

Individuelle Asylprüfung: Das Recht auf Asyl bleibt von der Umverteilung unangetastet. Und auch wenn für Angehörige eines bestimmten Drittstaats eine hohe Schutzbedürftigkeit besteht, wird die individuelle Gefährdungslage aller AsylbewerberInnen in einer Einzelfallprüfung ermittelt. Deren Ergebnisse sind für die Asylentscheidung maßgeblich. Dies bedeutet, dass die individuelle Prüfung selbst für Personengruppen, die gesammelt vor einem Bürgerkrieg fliehen, nicht aufgehoben wird. Es stimmt also nicht, dass „Wirtschaftsmigranten“, insbesondere aus Nordafrika, durch die Verteilungsmaßnahmen einfacher Asyl bekommen, wie Gauland behauptet. Sind die Anerkennungsquoten hoch, kann man vielmehr auf eine hohe Gefährdungslage in dem jeweiligen Land schließen (vgl. dazu Abbildungen im Anhang).


Gaulands Kritik, die EU würde „Ansiedelungsprogramme“ durchführen, ist ebenso pauschalisierend wie falsch. Er differenziert nicht zwischen Umverteilung (von bereits in der EU lebenden AsylbewerberInnen) und Neuansiedlung (von Asylsuchenden aus dem EU-Ausland), denn anders als bei einer geplanten Ansiedlung von Menschen, werden Flüchtlinge in keinem Fall dazu aufgefordert, ihre Heimat zu verlassen. Diese fliehen vor einer konkreten – mitunter bürgerkriegsbedingten – Gefährdungslage in den jeweiligen Herkunftsländern.

Durch die Verwendung des Begriffs „europaweites Ansiedelungsprogramm“ nähert sich Gauland an rechtsextreme Topoi an, die Flüchtlingsbewegungen und Immigration als Politik des Bevölkerungsaustauschs interpretieren. Angesichts dieser Sprache wirkt seine vorgebliche Unterstützung des Asylrechts besonders fehlplatziert.

Zudem ignoriert Gauland, dass die EU nicht über die Gewährung von Asyl entscheidet. Dies erfolgt nach wie vor durch die EU-Mitgliedstaaten, wobei weiterhin die Kriterien der GFK sowie die Einzelfallprüfung maßgeblich sind. Das Asylrecht wird also nicht durch „WirtschaftsmigrantInnen“ ausgehöhlt. Statistiken zu den Anerkennungsquoten bestätigen diesen Befund (siehe Anhang).

Die Migrationsagenda und die darin enthaltenen Maßnahmen zielen genau auf das Gegenteil von Gaulands Vorwurf ab, nämlich auf eine Regulierung von Migration und europaweit einheitliche Bedingungen für Schutzsuchende.

Die Behauptung, Verteilungsquoten würden neue Probleme schaffen, verkennt deren Ursprung – tatsächlich sind EU-weite Umverteilungsquoten 2015 notwendig geworden, um im Zuge der gestiegenen Flüchtlingszahlen besonders betroffene Staaten wie Griechenland oder Italien zu entlasten. Eine konstruktive Alternativlösung dazu schlägt Gauland nicht vor.

Recht auf Asyl in der Europäischen Union
In Deutschland genießen politisch Verfolgte nach Artikel 16a des Grundgesetzes ein Recht auf Asyl. Die Anträge werden auf einer Fall-zu-Fall-Basis geprüft und orientieren sich am Herkunftsland und der individuellen Schutzbedürftigkeit der Person. Die Prüfung von Asylanträgen führt jeder EU-Mitgliedstaat selbst durch, da die EU dazu keine Kompetenz besitzt und nur unterstützend tätig werden darf, z.B. über die Grenzschutzagentur Frontex und das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen.

Das Gemeinsame Europäische Asylsystem der EU (GEAS) zielt auf eine bessere Zusammenarbeit der EU-Staaten bei der Asylgewährung und dem Schutz von Flüchtlingen ab. Das GEAS beruht auf dem Vertrag über die Arbeitsweise der EU (Art. 78). Es beinhaltet:
– Vorschriften zur Prüfung von Asylanträgen durch die Mitgliedstaaten (Dublin-Verordnung),
– Bestimmungen zur Registrierung von Asylsuchenden (Eurodac-Verordnung),
– eine Definition von Gründen für Gewährung internationalen Schutzes (Anerkennungsrichtlinie)
– sowie Richtlinien zu Aufnahmebedingungen, Asylverfahren und Rückführungen bei abgelehnten Asylanträgen.

Mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist das Grundrecht auf Asyl seit 1951 im Völkerrecht verankert. Ausschlaggebend waren hierfür die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs. Kriterien für internationale Schutzbedürftigkeit sind persönliche Verfolgung aus politischen, rassistischen, sozialen oder religiösen Gründen. Perspektivlosigkeit oder wirtschaftliche Motive, wie sie etwa bei sog. WirtschaftsmigrantInnen vorliegen, sind für einen Anspruch auf Asyl unzureichend.

Statistiken zu Asyl in der EU von Eurostat: http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Asylum_statistics (letzter Zugriff: 3.8.2016).

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Wo finde ich diese Informationen?

1. Pressemitteilung der Partei Alternative für Deutschland: EU-Flüchtlingsquoten würden die Probleme noch verschärfen, 13.5.2015, https://www.alternativefuer.de/gauland-eu-fluechtlingsquoten-wuerden-die-probleme-noch-verschaerfen/ (letzter Zugriff: 3.8.2016).

2. Europäische Kommission: Migration besser bewältigen – die Europäische Agenda für Migration, 13.5.2015, http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-4956_de.htm (letzter Zugriff: 3.8.2016).

3. Europäische Kommission: Das Gemeinsame Europäische Asylsystem, 2014, http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/e-library/docs/ceas-fact-sheets/ceas_factsheet_de.pdf (letzter Zugriff: 3.8.2016).

4. Rat der EU: Entschließung zur Umsiedlung von 40.000 schutzbedürftigen Personen aus Griechenland und Italien, 22.7.2015, http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-11131-2015-INIT/de/pdf (letzter Zugriff: 3.8.2016).

5. Rat der EU: Beschluss zur Einführung eines Verteilungsschlüssels zugunsten von Italien und Griechenland, 22.9.2015, http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015D1601&from=DE (letzter Zugriff: 3.8.2016).

6. Europäische Kommission: Vorschlag über eine EU-weite Liste sicherer Herkunftsländer, http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-we-do/policies/european-agenda-migration/background-information/docs/2_eu_safe_countries_of_origin_de.pdf (letzter Zugriff: 3.8.2016).

7. Europäische Kommission: Empfehlung für eine europäische Neuansiedlungsregelung, 8.6.2015, http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/e-library/documents/policies/asylum/general/docs/recommendation_on_a_european_resettlement_scheme_de.pdf (letzter Zugriff: 3.8.2016).

8. Rat der EU: Treffen zu den Themen Umverteilung, Neuansiedlung und sichere Herkunftsstaaten am 20.7.2015, http://www.consilium.europa.eu/en/meetings/jha/2015/07/st11097_en15_pdf/ (letzter Zugriff: 3.8.2016).