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KONTEXT


Im Oktober 2016 sollte die Zustimmung des Rates der EU zur vorläufigen Anwendung des europäisch-kanadischen Freihandelsabkommens CETA gegeben werden. Dies wurde aber durch die ausstehende Ratifizierung des wallonischen Regionalparlaments, die für sog. gemischte Abkommen der EU notwendig ist, verzögert. Paul Hampel, AfD-Bundesvorstandsmitglied, sah die Verzögerung generell als Zeichen der Handlungsunfähigkeit der EU und nahm dies zum Anlass, grundsätzlich Kritik an der Finanzierung der EU zu üben: Sie könne angeblich nur durch die „gigantischen Summen“ des „Goldesels“ Deutschland bestehen, „die nach dem Wegfall der britischen Zahlungen weiter steigen werden“.

CETA ist ein gemischtes Abkommen, d.h. dass es sowohl Kompetenzbereiche der EU als auch der Mitgliedstaaten umfasst. Daher ist eine Ratifikation auf EU-Ebene sowie auf mitgliedstaatlicher Ebene erforderlich, im Fall Belgiens beispielsweise auch mit Beteiligung der regionalen Parlamente. Obwohl der Grund des Konflikts um die Zustimmung der belgischen Region Wallonien zum CETA-Abkommen nicht im direkten Zusammenhang zur EU-Haushaltspolitik steht, griff Hampel die altbekannte Debatte über die angeblich nachteilige Nettobeitragsposition Deutschlands auf.2

FAKTENCHECK


In absoluten Zahlen: Ob ein Mitgliedstaat ein Nettozahler oder -empfänger ist, ergibt sich aus der Differenz zwischen den erhaltenen Mitteln aus dem EU-Haushalt und seinem Beitrag zum EU-Haushalt. Ist das Ergebnis dieser Rechnung positiv, ist der Staat ein Nettoempfänger; bei einem negativen Saldo ein Nettozahler. Für Deutschland ergibt sich folgende Bilanz:

  • Einzahlungen: Deutschlands Anteil am EU-Haushalt lag 2015 bei knapp 28 Mrd. Euro3 – in etwa 20 Prozent der Gesamtsumme von ca. 145 Mrd. Euro4. Im Vergleich dazu war der deutsche Bundeshaushalt 2015 mit 307 Mrd. Euro5 mehr als doppelt so groß – die deutschen Zahlungen an die EU stellen aber gerade einmal acht Prozent davon dar.
  • Auszahlungen: Deutschland zahlt aber nicht nur in den EU-Haushalt ein, sondern erhält auch Zuwendungen, z.B. Fördermittel im Rahmen der EU-Kohäsionspolitik. Deren Ziel ist es, Unterschiede im Entwicklungsstand zwischen den Regionen und Mitgliedstaaten zu verringern, wovon auch strukturschwache Regionen in Deutschland profitieren. Diese Rückflüsse nach Deutschland machten 2015 ca. 11 Mrd. Euro aus – nach Frankreich, Spanien, Polen und Italien die fünfthöchste Summe.6
  • Deutschland hat in absoluten Zahlen gerechnet einen negativen Saldo von knapp 14,3 Mrd. Euro (2015) und ist somit der größte Nettozahler der EU, gefolgt von Großbritannien (11,5 Mrd. Euro) (s. Abb. 1 im Anhang).7

Was die Nettozahlerbilanz nicht berücksichtigt: Jedoch ist die Differenz aus absoluten Zahlen eine zu einfach gemachte Rechnung, die keine Rückschlüsse darüber zulässt, ob der Betrag für das bestimmte Land relativ gesehen hoch oder niedrig ist. Faktoren wie Wirtschaftskraft oder Bevölkerungsstärke, von denen die Nettozahlerposition von EU-Ländern aber abhängt, werden dabei nicht berücksichtigt. Für Deutschland sind zwar die Beitragszahlungen an den EU-Haushalt in absoluten Zahlen am höchsten, jedoch ist Deutschland auch die größte Volkswirtschaft der EU und profitiert als Exportnation wie kaum ein anderes EU-Land vom gemeinsamen Binnenmarkt8:

  • Bevölkerungsstärke: Legt man den Nettosaldo auf die Bevölkerung der jeweiligen Mitgliedstaaten um (2015), entfällt auf die BürgerInnen Schwedens mit rund 226 Euro pro Kopf die größte Summe, gefolgt von den NiederländerInnen mit 219 Euro und den BritInnen mit 178 Euro. Deutschland rangiert mit 176 Euro pro Kopf erst auf Platz vier (s. Abb. 1 im Anhang).
  • Wirtschaftsleistung: Setzt man die negativen Nettosalden ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung, die am Bruttonationaleinkommen (BNE, s. Anhang) eines Landes gemessen wird, so entsprechen die 14,3 Milliarden Euro negativer Saldo tatsächlich nur 0,46 Prozent des gesamten deutschen BNE. Damit liegt Deutschland nur an dritter Stelle hinter den Niederlanden (0,54 Prozent) und Schweden (0,48 Prozent) (s. Abb. 1 im Anhang).

Immaterielle Vorteile der EU-Mitgliedschaft: Eine Reduzierung der EU allein auf ihre finanzielle Dimension lässt die vielfältigen immateriellen Vorteile der EU-Mitgliedschaft wie Verbraucherschutz, Produktsicherheit, Reise- und Wohnsitzfreiheit, Umweltstandards sowie Sicherheit und Recht in einem europäischen Raum ohne Binnengrenzen völlig unerwähnt.9 Auch die friedliche Konfliktregelung und die Verrechtlichung der Beziehungen zwischen Staaten auf einem Kontinent, der über Jahrhunderte bis in die 1990er Jahre kriegerischer Gewalt ausgesetzt war,10 wird dabei nicht berücksichtigt (à Factsheet Dexit).

Keine Gefahr für den Fortbestand der EU: Im Fall Brexit wird zweifellos über die Höhe der jeweiligen Beitragszahlungen der verbliebenen EU-Staaten nach einem EU-Austritt Großbritanniens eine Debatte geführt, da dadurch eine finanzielle Lücke im EU-Haushalt entsteht. Der Fortbestand der EU im Sinne von Hampels Aussage wird dabei jedoch nicht infrage gestellt, obwohl Großbritannien mit einem Nettosaldo von 11,5 Mrd. Euro im Jahr 2015 der zweitgrößte Nettozahler ist. Im Falle eines EU-Austritts Deutschlands im Jahr 2015 wäre die finanzielle Lücke im EU-Haushalt nur um knapp 3 Mrd. Euro höher gewesen. Für Rückschlüsse zum Fortbestand der EU, wie Hampel sie bezüglich Deutschland zieht, fehlt jegliche empirische Grundlage.


Die einfache Nettoposition, also der Saldo aus Ein- und Auszahlungen, wird v. a. genutzt, um hervorzuheben, dass für Deutschland die Beitragszahlungen an den EU-Haushalt in absoluten Zahlen am höchsten sind. Doch die ausschließliche Verwendung von absoluten Zahlen, wie sie Hampel hier bewusst wählt, ist eine einseitige und undifferenzierte Darstellung, die nur begrenzt aussagekräftig ist.

So soll gezielt Stimmung gegen die EU gemacht werden, indem die Union als eine Institution dargestellt wird, die allen voran Deutschland ausbeutet. Das Sprachbild „Goldesel“ impliziert aber auch, dass sich andere Mitgliedstaaten, vornehmlich die Nettoempfänger, angeblich auf Kosten Deutschlands zurücklehnen. Dabei wird die rein hypothetische Annahme, dass die EU ohne deutsche Zahlungen nicht bestehen könnte, zu einer Tatsache stilisiert, die nicht belegbar ist.

Hampel reduziert die EU ausschließlich auf ihre finanzielle Dimension, ohne die immateriellen Werte zu berücksichtigen. Dies impliziert, der einzige Vorteil der EU bestünde darin, mehr Geld rauszubekommen als man einzahlt. Dabei lässt Hampel die grundlegenden Vorteile, die die EU ausmachen – den europäischen Binnenmarkt, die Personenfreizügigkeit und nicht zuletzt politische Stabilität und Frieden – völlig unter den Tisch fallen. (Factsheet Dexit)

Abb. 1: Nettozahler und Nettoempfänger in der EU

Abb.2: Entwicklung der Ausgaben des EU-Haushalts12

Abb. 3: Größe des EU-Haushalts im Vergleich zur jährlichen Wirtschaftsleistung der EU (BNE)13

Im Jahr 2015 betrug der BNE der EU 14.621.241,5 Millionen Euro.

Mehrjähriger Finanzrahmen setzt Obergrenze bei Ausgaben: Generell arbeitet die EU mit zwei Haushalten: Zum einen mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), der die Haushaltsobergrenze für alle Politikbereiche für einen Zeitraum von bis zu sieben Jahren festlegt. Der aktuelle MFR läuft von 2014 bis 2020 und umfasst insgesamt 1.082 Milliarden Euro.17 Zum anderen wird jedes Jahr ein Jahreshaushalt erstellt. Nach einem Haushaltsvorschlag von der Kommission wird dieser von Parlament und Rat geprüft und bei Bedarf geändert, gleiches gilt für den MFR (Factsheet EU-Bürokratie).

Glossar

  • Bruttonationaleinkommen (BNE): Beinhaltet das von allen Bewohnern eines Staates innerhalb eines Jahres erwirtschaftete Einkommen, unabhängig davon, ob diese im In- oder Ausland erzielt wurden. Bis 1999 wurde das BNE auch als Bruttosozialprodukt bezeichnet. Im Gegensatz zum BNE, bezeichnet das Bruttoinlandsprodukt (BIP) alle im Inland erzielte Einkommen, unabhängig ob diese von In- oder Ausländern erwirtschaftet wurden.18

Wo finde ich diese Informationen?

¹AfD: Pressemitteilung, 27.10.2016: https://www.alternativefuer.de/hampel-eu-naehert-sich-ihrem-verfallsdatum/ (letzter Zugriff: 10.1.2017).

²P. Becker: Zwischen Zuchtmeister und Zahlmeister – Deutsche Europapolitik und die europäischen Finanzverhandlungen, in: K. Böttger, M. Jopp (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Europapolitik, 2016, Institut für Europäische Politik, S. 221.
3European Commission: EU budget 2015 – Financial report, 2016, Publications Office of the European Union: Luxembourg.
⁴European Commission: EU budget 2015 – Financial report, 2016, Publications Office of the European Union: Luxembourg.
5 Deutscher Bundestag: Zweiter Nachtrag zum Bundeshaushaltsplan, 20.11.2015, https://www.bundeshaushalt-info.de/fileadmin/de.bundeshaushalt/content_de/dokumente/2015/soll/Nachtragshaushalt-2015-2.pdf (letzter Zugriff: 10.1.2017).
⁶European Commission: EU budget 2015 – Financial report, 2016, Publications Office of the European Union: Luxembourg.

European Commission: EU budget 2015 – Financial report, 2016, Publications Office of the European Union: Luxembourg.

Christian Gokus: Die Bedeutung des Binnenmarktes, S. 173-186, in: Mathias Jopp/Funda Tekin (Hrsg.): Der Wert Europas, Studie des Instituts für Europäische Politik, Berlin 2013, S. 178-179.

⁹Julian Plottka/René Repasi: Der Nutzen der Unionsbürgerschaft, S. 51-102, in: Mathias Jopp/Funda Tekin (Hrsg.): Der Wert Europas, Studie des Instituts für Europäische Politik, Berlin 2013, S. 93.

¹⁰Julian Plottka/René Repasi: Die normativen Grundlagen der Europäischen Union, S. 5-50, in: Mathias Jopp/Funda Tekin (Hrsg.): Der Wert Europas, Studie des Instituts für Europäische Politik, Berlin 2013, S. 10-11.

¹¹Bundeszentrale für Politische Bildung: Nettozahler und Nettoempfänger in der EU, 2016, http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/europa/70580/nettozahler-und-nettoempfaenger (letzter Zugriff: 24.2.2017).
¹²Bundesministerium der Finanzen: Infografiken – EU-Haushalt, 2015, http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Bilderstrecken/Mediathek/Infografiken/infografik-europa-haushalt.html?notFirst=true&docId=63532#photogallery (letzter Zugriff: 24.2.2017).
¹³Europäische Kommission: Der EU-Haushalt auf einen Blick, 2015, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union: Luxembourg.
¹Europäische Kommission: Der EU-Haushalt auf einen Blick, 2015, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union: Luxembourg.

15 Europäische Kommission: Woher kommt das Geld? 2015, http://ec.europa.eu/budget/explained/budg_system/financing/fin_de.cfm (letzter Zugriff: 16.1.2017).
¹⁶Europäische Kommission: Der EU-Haushalt auf einen Blick, 2015, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union: Luxembourg.
¹Europäische Kommission: Der Mehrjährige Finanzrahmen anschaulich erklärt, 2015, http://ec.europa.eu/budget/mff/introduction/index_de.cfm (letzter Zugriff: 17.1.2016).
¹⁸Bundeszentrale für politische Bildung: Bruttonationaleinkommen, 2009, https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/pocket-europa/16649/bruttonationaleinkommen-bne (letzter Zugriff: 27.3.2017)