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KONTEXT


Jörg Meuthen kritisierte in einer Pressemitteilung die Einigung der Euro-Gruppe2 über das dritte griechische Hilfspaket. Die Eurozone würde trotz mangelnden Reformwillens und mehrfacher Vertrauensbrüche Griechenlands „immer und egal zu welchen Kosten für die Steuerzahler im Euro halten“. Die Bundesregierung habe die WählerInnen in Deutschland „gefangen genommen“ und ihnen „vorgegaukelt, man wolle kein weiteres Geld in das griechische Fass ohne Boden schütten“ – und „tue doch wieder und wieder genau das“.

Im Zuge der sog. Griechenlandkrise (s. Anhang) verständigten sich die Staats- und Regierungschefs der 19 Euroländer (sog. Euro-Gruppe) am 13. Juli 2015 nach langen Diskussionen auf die Rahmenbedingungen zur  Gewährung neuer Finanzhilfen durch die EU in einem dritten Hilfspaket für Griechenland – nach dessen Zustimmung zu einem umfassenden Reformpaket. In diesem Zusammenhang wurde in der öffentlichen Debatte auch immer wieder gefordert, Griechenland solle aus der Eurozone austreten (oftmals als „Grexit“ bezeichnet).

FAKTENCHECK


Unangemessener und faktisch falscher Vergleich: Der Vergleich mit dem in der Vergangenheit wegen Menschenrechtsverletzungen international scharf kritisierten amerikanischen Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba ist weder folgerichtig noch angemessen. Gefangenschaft und absolute Fremdbestimmung wird mit dem freiwilligen Eintritt in die Eurozone gleichgesetzt und dadurch sogar verharmlost. Zudem stimmt es nicht, dass man aus Guantánamo nie wieder „raus kann“: Während der Obama-Administration ist die Zahl der Gefangenen von 242 inzwischen auf 41 gesunken.3

Euro-Mitgliedschaft demokratisch legitimiert: Die gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) wurde mit dem Vertrag von Maastricht gegründet. Dieser wurde in jedem Mitgliedsland unterschrieben und nach nationalen Vorschriften ratifiziert; bspw. fanden in Irland, Dänemark, und Frankreich Referenden statt.4 In Deutschland nahm der Bundestag den Gesetzentwurf zur Umsetzung des Vertrags sogar mit Zweidrittelmehrheit an.5 Die Entscheidung wurde zudem im Maastricht-Urteil (BVerfG 89, 155) des Bundesverfassungsgerichts für zulässig befunden.6

Zustimmung in der Bevölkerung: Unklar bleibt in der Presseerklärung, ob Meuthen von einer Gefangenschaft aller Mitgliedstaaten bzw. UnionsbürgerInnen im Euroraum oder der deutschen WählerInnen durch die Bundesregierung in ihrer Griechenlandpolitik spricht. Umfragen zeigen jedoch, dass von einer Zwangsmitgliedschaft, die einer „Gefangennahme“ gleichkomme, in beiden Fällen nicht die Rede sein kann:

  • Mehrheit für Euro-Mitgliedschaft: Seit 2008 ist stets eine Mehrheit von über 60 Prozent der Deutschen und des Durchschnitts der Eurozonen-BürgerInnen für eine gemeinsame Währungs- und Wirtschaftsunion. Laut dem Eurobarometer vom Herbst 2016 sind sogar 81 Prozent der befragten Deutschen dieser Ansicht. Auch in Griechenland ist der Wert nie unter 58 Prozent gesunken (s. Abb. 1).
  • Deutsche gegen Austritt Griechenlands: Sogar während der heißen Phase der Verhandlungen um weitere Unterstützungen für Griechenland, hat sich im ARD-DeutschlandTrend mit 62 Prozent eine Mehrheit der befragten Deutschen gegen einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone ausgesprochen, 57% befürworteten das dritte Hilfspaket.7

Beispiele möglicher Austrittsszenarien: Ein Austritt aus dem Euroraum ist tatsächlich nicht vorgesehen: Der Euro ist in den EU-Verträgen „unwiderruflich“ angelegt (Art. 140 EUV). Damit soll verhindert werden, dass EU-Staaten auf den Finanzmärkten so unter Druck gesetzt werden können, dass sie trotz der damit verbundenen hohen Kosten zur nationalen Währung zurückkehren. Doch gibt es Möglichkeiten für einen Austritt aus der Eurozone, die allerdings bei einer notwendigen zeitnahen Lösung nur bedingt praktikabel und rechtlich schwierig umzusetzen sind.

  • Austritt aus der gesamten EU: Dies würde auch den Austritt aus dem Euroraum nach sich ziehen. Ein Antrag muss jedoch, wie im Falle Großbritanniens, mind. zwei Jahre im Voraus bei der EU eingereicht werden (Art. 50 EUV). Danach folgt wiederum ein langwieriger Prozess, bei dem die Beziehungen des Landes zur EU vertraglich neu geregelt werden müssen.
  • Vereinfachtes Vertragsveränderungsverfahren: Durch eine Vertragsänderung könnte die Unwiderrufbarkeit der Euro-Einführung aufgehoben werden. Jedoch wäre auch dies ein politisch langwieriger Prozess, da es die Zustimmung aller Mitgliedstaaten erfordert.8
  • Sekundärrechtliche Möglichkeit: Eine Rechtsänderung des betroffenen Staates könnte die Umsetzung der Verordnung (EG) Nr. 974/989, die den Umrechnungskurs zur vorherigen Währung „unwiderruflich“ festgelegt hat, aufheben.10 Diese Variante könnte zwar schneller umgesetzt werden, ist aber auch europarechtlich sehr umstritten.
  • Politische Möglichkeit: Wenn Folgekosten und Konsequenzen einen Austritt rechtfertigen, könnte auch eine Lösung außerhalb der vertraglichen Möglichkeiten gefunden werden.11 Dies war schon während der Eurokrise der Fall: Der Fiskalpakt wurde aufgrund britischen und tschechischen Widerstands so durch einen völkerrechtlichen Vertrag außerhalb der EU-Verträge ermöglicht.12

Mögliche schwerwiegende rechtliche und wirtschaftliche Risiken: Aufgrund der sehr freien Interpretation von „unwiderruflich“ könnten Investoren bei einer Umwandlung von Schulden in die Folgewährung angesichts des Wertverlusts klagen und vor dem Gerichtshof der EU Recht bekommen. Ein Austritt würde somit auf längere Sicht zu einer erhöhten Rechtsunsicherheit führen. Außerdem birgt ein Austritt nicht zuletzt ein großes wirtschaftliches Risiko13 und könnte die Spekulation auch auf andere schwache Euroländer erhöhen. Denn sobald ein Land den Euro verlässt, wird der Euroraum von einer unwiderruflichen Währungsunion zu einem System fester Wechselkurse, was seine Stabilität in Frage stellt. Im Fall Griechenlands würde sich die wirtschaftliche Rezession sowie die Frage um die Schuldentragfähigkeit des Landes sogar weiter verschärfen ( à Factsheet Schuldenschnitt). Zudem besteht das Risiko einer massiven Kapitalflucht aus allen weiteren Krisenstaaten. Letztendlich könnte der Euro dem betroffenen Land sogar erhalten bleiben, da er als europäische Leitwährung wahrscheinlich nachfolgende Währungen verdrängen würde.14


Auch wenn ein Austritt aus dem Euro praktisch tatsächlich nur sehr schwer zu vollziehen ist, verbindet Meuthen mit dem Euro und Guantánamo zwei Themen, die absolut nichts miteinander zu tun haben. Ein solch einfacher Vergleich ist nicht nur sachlich falsch, sondern angesichts der komplexen Problematik um Griechenland und den auf Guantánamo vollzogenen Menschenrechtsverletzungen völlig unangemessen.

Solche populistischen Vergleiche dienen vor allem der Emotionalisierung von Politik: Ein Beispiel aus dem amerikanischen Anti-Terror-Kampf wird mit einem währungspolitischen Thema wie der Euromitgliedschaft gleichgestellt und damit sogar verharmlost – bzw. die Eurokrise zum Krieg hochstilisiert. Die Assoziationen mit Zwang, Gewalteinwirkung und Abwesenheit jeglicher demokratischer Legitimität stehen in deutlichem Widerspruch zur demokratisch legitimierten Mitgliedschaft im Euroraum und der Befürwortung des Euros durch die Bevölkerung.

Die Guantánamo-Metapher transportiert eine alarmierende, panikmachende Stimmung. Ganz davon abgesehen, dass nicht deutlich wird, wen Meuthen als Gefangenen meint – Griechenland, deutsche WählerInnen oder alle Mitgliedstaaten des Euroraums – wird unterschwellig ein Bild von Griechenland und den anderen Eurostaaten als Kriminelle sowie von den deutschen WählerInnen als unschuldig festsitzende, unmündige Häftlinge impliziert. Meuthen verfolgt keine klare Argumentationsstruktur, was wiederum zeigt, dass sein Vergleich unangebracht ist.

Abb.1: Befürwortung einer gemeinsamen Währungs- und Wirtschaftspolitik15

Glossar

  • Griechenlandkrise: Im Frühjahr 2010 gab Griechenland bekannt, dass dem Land die Zahlungsunfähigkeit drohe. Eine der Ursachen war eine Fehlangabe der Staatsverschuldung, auch war das Land nicht ausreichend wettbewerbsfähig. Korruption, ineffiziente Finanz- und Steuerbehörden und die Folgen der Finanzkrise zählen zu den weiteren Faktoren. Griechenland schaffte es eine Zeit lang seine Schulden mit Hilfe anderer Mitgliedstaaten zurückzuzahlen. Am 30. Juni 2015 war dies nicht mehr der Fall: das Land konnte eine Rate von 1,5 Mrd. Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht überweisen. Somit galt Griechenland als bankrott. Bisher wurden drei Hilfspakete für Griechenland geschnürt: 2010 (73 Mrd. Euro), 2012 (142,9 Mrd. Euro, u.a. unter dem neugegründeten Euro-Rettungsschirm EFSF), 2015 (86 Mrd. Euro aus dem Rettungsschirm European Stability Mechanism) (à Factsheet EZB-OMT). Die Vereinbarung vom 13. Juli 2015 enthält zahlreiche Strukturreformen. Dem Hilfspaket wurde am 19. August 2015 von den Euro-Finanzministern zugestimmt.16
  • Vereinfachtes Vertragsänderungsverfahren: Die Verträge der Europäischen Union, sowohl der Vertrag über die Europäischen Union (EUV) sowie der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) können in einem ordentlichen Änderungsverfahren und einem vereinfachten Änderungsverfahren geändert werden. Im vereinfachten Vertragsänderungsverfahren ist es jeder Regierung eines Mitgliedstaates möglich Änderungsvorschläge zum Dritten Teil des AEUV über die internen Politikbereiche der Union vorzulegen. Nach Anhörung des Europäischen Parlaments und der Kommission, fasst der Europäische Rat einstimmig einen Änderungsbeschluss, der von den Mitgliedsstaaten ratifiziert werden muss.17

Wo finde ich diese Informationen?

1 Bundesvorstandes der Alternative für Deutschland: Meuthen: Der Euro ist wie Guantánamo, 13.7.2015,
https://www.afdbayern.de/meuthen-der-euro-ist-wie-guantanamo/ (letzter Zugriff: 20.3.2017).

 

2 Rat der Europäischen Union: Die Euro-Gruppe, http://www.consilium.europa.eu/de/council-eu/eurogroup/ (letzter Zugriff: 11.5.2917).

 

3 CNN politics: Obama’s last transfer of Gitmo detainees, Trump inherits 41, 20.1.2017, http://edition.cnn.com/2017/01/19/politics/obama-final-Guantánamo-bay-transfer/ (letzter Zugriff: 2.3.2017).

 

4 In Dänemark wurde der Vertrag allerdings zunächst knapp abgelehnt (50,3% Ablehnung). Nach Zugeständnissen im Bereich der Gemeinschaftswährung sowie Innen-, Justiz- und Verteidigungspolitik wurde in einem zweiten Referendum der Vertrag angenommen (56,8% Zustimmung). Vgl. Schünemann, W. J.: In Vielfalt verneint, 2017, Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 11-12.

 

5 Deutscher Bundestag: Vor 20 Jahren wurde der Grundstein zum Euro gelegt, o. D., https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2011/36950004_kw49_maastricht/207168 (letzter Zugriff: 13.3.2017). 543 Ja-Stimmen, 17 Nein-Stimmen und 8 Enthaltungen.

 

6 Vgl. Schünemann, W. J.: In Vielfalt verneint, 2017, Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 12.

 

7 Blitzumfrage für ARD-DeutschlandTrend: Klares Votum für Athen im Euro, 13.7.2015 https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend-griechenland-101.html (letzter Zugriff: 10.5.2017).

 

8 Von Ondarza, Nicolai: Rechtliche Spielräume für einen Grexit, 9.7.2015, https://www.swp-berlin.org/kurz-gesagt/rechtliche-spielraeume-fuer-einen-grexit/ (letzter Zugriff: 9.5.2017).

 

9 Veordnung (EG) Nr. 974/98 DES RATES vom 3. Mai 1998 über die Einführung des Euro, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1998R0974:20110101:DE:PDF (letzter Zugriff: 11.5.2017).

 

10 Steinbach, Armin: Plan B: Rückbau der Integration? In: Alexander Schellinger und Philipp Steinberg (Hrsg.): Die Zukunft der Eurozone – Wie wir den Euro retten und Europa zusammenhalten, Bielefeld 2016: transcript, S. 193.

 

11 Steinbach, Armin: Plan B: Rückbau der Integration? In: Alexander Schellinger und Philipp Steinberg (Hrsg.): Die Zukunft der Eurozone – Wie wir den Euro retten und Europa zusammenhalten, Bielefeld 2016: transcript, S. 189-205.

 

12 Stiftung Wissenschaft und Politik: Der Europäische Stabilitätsmechanismus und der Fiskalpakt, o. D.,

https://www.swp-berlin.org/swp-themendossiers/der-lissabonner-vertrag-in-zeiten-der-krise/der-esm-und-der-fiskalpakt/

(letzter Zugriff: 19.4.2017).

 

13 Barry Eichengreen: The Euro: Love it or leave it? 4.5.2010, http://voxeu.org/article/eurozone-breakup-would-trigger-mother-all-financial-crises(letzter Zugriff: 13.3.2017).

 

14 Steinbach, Armin: Plan B: Rückbau der Integration? In: Alexander Schellinger und Philipp Steinberg (Hrsg.): Die Zukunft der Eurozone – Wie wir den Euro retten und Europa zusammenhalten, Bielefeld 2016: transcript, S. 191.

 

15 Eigene Darstellung nach den Daten: Eurobarometer 2010-2016

Abfrage der von der Europäischen Kommission in Auftrtag gegebenen Eurobarometer: Europäische Kommission: Öffentliche Meinung, http://ec.europa.eu/commfrontoffice/publicopinion/index.cfm (letzter Zugriff: 11.5.2017).

 

16 Spiegel Online: Hintergründe zur Griechenlandkrise – endlich verständlich, 22.1.2016 http://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-krise-alle-antworten-zur-krise-und-den-euro-folgen-a-1042694.html#sponfakt=1 (letzter Zugriff: 10.5.2017).

 

17 Europäisches Parlament, Lexikon: Vertragsänderung: http://www.europarl.europa.eu/brussels/website/media/Lexikon/Pdf/Vertragsaenderung.pdf (letzter Zugriff: 11.5.2017).