Krise der Eurozone

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Die Ursachen der Krise, die ab dem Jahr 2008 weite Teile der Weltwirtschaft in Mitleidenschaft zog, sind vielschichtig und werden auch in der Rückschau sehr unterschiedlich bewertet. Einigkeit herrscht hingegen hinsichtlich des Auslösers: Der Crash am amerikanischen Markt für Immobilienfinanzierung ging mit einem tiefgreifenden Vertrauensverlust innerhalb der weltweit vernetzten Finanzmärkte einher. Als gesichert darf gelten, dass die Europäische Union (EU), ihre Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und die Eurozone – also diejenigen Mitgliedstaaten, die die gemeinsame Währung Euro bereits eingeführt haben – von dieser Krise in besonderem Maße betroffen waren und es immer noch sind. Hinter der „Krise der Eurozone“ verbirgt sich eine spezifische Gemengelage, die spätestens ab dem Jahr 2010 das Projekt einer gemeinsamen Währung in einem ungeahnten Ausmaß und dauerhaft ins Zentrum politischer, medialer und öffentlicher Aufmerksamkeit rückte.

Die Mitglieder der Eurozone teilen seit dem Jahr 1999 eine gemeinsame Währung unter der Regie der Europäischen Zentralbank (EZB). Wie andere Zentralbanken auch reagierte die EZB mit ihrem geldpolitischen Instrumentarium auf das Platzen der Kreditblase 2007/2008, um dem Vertrauensverlust an den Finanzmärkten entgegenzuwirken und die Stabilität der Gemeinschaftswährung zu erhalten. Im Gegensatz zur Geldpolitik liegen Fiskal- und Wirtschaftspolitik in der WWU nach wie vor in der Hoheit der Mitgliedstaaten (wenn sie auch in unterschiedlichem Maße koordiniert werden). Um einheimische Finanzinstitutionen zu stützen und den realwirtschaftlichen Abschwung abzumildern, nutzten zahlreiche Mitgliedstaaten fiskalpolitische Instrumente.[i] Vielen Deutschen sind etwa die „Abwrackprämie“ zur Förderung der Automobilindustrie oder die Stützung der Commerzbank in Erinnerung geblieben. Eine Folge solcher Maßnahmen waren abrupt steigende Defizite in den Staatshaushalten fast aller EU-Mitgliedstaaten.[ii]

Die gemeinsame Währung machte einige ihrer Mitgliedstaaten in der Krise besonders anfällig. Das liegt zum einen daran, dass den weniger wettbewerbsfähigen Mitgliedern der Eurozone das Instrument der Abwertung der eigenen Währung nicht mehr zur Verfügung stand. Gleichzeitig hatte die erhoffte realwirtschaftliche Konvergenz innerhalb der Eurozone in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens nicht oder nicht in ausreichendem Maß stattgefunden. Die einheitliche Geldpolitik der EZB sah sich in dieser Situation den gegenläufigen Bedürfnissen sehr unterschiedlicher Volkswirtschaften gegenüber – ein mit konventioneller Geldpolitik kaum aufzulösendes Dilemma.

Zum anderen verfügten einige Mitgliedstaaten nicht über ausreichende finanzpolitische Spielräume in ihren Haushalten, um Finanz- und Wirtschaftskrisen fiskalpolitisch zu bekämpfen. Das zur Garantie einer nachhaltigen Haushaltspolitik vereinbarte Regelwerk[iii] war bereits im verhältnismäßig stabilen ersten Jahrzehnt der Gemeinschaftswährung von mehreren Mitgliedstaaten verletzt und damit aufgeweicht worden. Das ebenfalls vertraglich verankerte Prinzip, nach dem die Gemeinschaft der Eurostaaten nicht für Schulden einzelner Mitglieder haftet, um Anreize zum Schuldenmachen auf Kosten der Allgemeinheit zu vermeiden, geriet unter Druck. Da es für den Fall der Insolvenz eines Mitgliedstaates der Eurozone keine Vorkehrungen gab, erschienen die wirtschaftlichen wie auch politischen Risiken unkalkulierbar. Selbst das Auseinanderbrechen der gesamten Eurozone wurde als reale Gefahr eingeschätzt.

Wie konnte es zu dieser Situation kommen? Vier miteinander verwobene Problemkomplexe lassen sich unterscheiden:

Die Krise der Eurozone lässt sich in dieser Sichtweise als Staatsschuldenkrise charakterisieren. Die von der Krise unmittelbar betroffenen Mitgliedstaaten haben nach dieser Interpretation in wirtschaftlich guten Zeiten nicht ausreichend Vorsorge für Krisen getroffen, also über Ihre Verhältnisse gelebt. Die mangelhafte Umsetzung der in den europäischen Verträgen vereinbarten Regeln zur fiskal- und wirtschaftspolitischen Koordinierung auf europäischer Ebene steht hier im Vordergrund. Als Negativbeispiel mag hier Griechenland gelten, dessen neugewählte Regierung im Oktober 2009 drastisch nach oben korrigierte Defizitzahlen veröffentlichte. Beobachter weisen aber darauf hin, dass es den anderen Mitgliedstaaten schon seit langem hätte klar sein müssen, dass die Zahlen aus Griechenland nicht verlässlich waren.[iv]

Aus dieser Perspektive sind nachhaltige Sparanstrengungen und eine effektivere Koordinierung der Fiskal- und Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene unumgänglich, um die Stabilität der gemeinsamen Währung sicherzustellen. Die grundsätzliche Funktionsfähigkeit einer Währungsunion mit zentralisierter Geldpolitik einerseits und fiskal- und wirtschaftspolitisch weitgehend autonomen Mitgliedstaaten andererseits wird in dieser Sichtweise nicht in Frage gestellt, solange die Regeln eingehalten werden.

Die strukturelle Heterogenität der Mitgliedstaaten steht bei dieser Ursachenbeschreibung im Mittelpunkt. Aus dieser Perspektive war die Einführung einer gemeinsamen Währung für unterschiedliche Mitgliedstaaten in der gewählten Form ein Fehler, aus dem sich zwangsläufig starke Spannungen ergeben. Die von den Befürwortern der WWU erhoffte Konvergenz durch die gemeinsame Währung (Lokomotivtheorie) hatte sich innerhalb der Eurozone bis zum Ausbruch der Krise nicht eingestellt. Unter den Voraussetzungen fixer Wechselkurse, freiem Kapitalverkehr und der Abwesenheit fiskalischer Transfers zwischen den Mitgliedstaaten verlaufen Anpassungsprozesse zwischen Mitgliedstaaten über deren Arbeitsmärkte. Bei einer relativ geringen Mobilität von Arbeitskräften innerhalb der Eurozone müssten die Arbeitnehmer in weniger wettbewerbsfähigen Ländern bei niedrigeren Löhnen und Preisen einen geringeren Lebensstandard in Kauf nehmen. Diesen Weg der internen Abwertung muss auf Druck seiner Gläubiger derzeit Griechenland beschreiten. Die negativen Wirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft haben das Land jedoch im Laufe der Krise mehrfach an den Rand eines Ausscheidens aus der Eurozone gebracht. Auch wenn die ökonomischen Folgen des Austritts eines (kleinen) Mitgliedstaates mittlerweile als handhabbar für die Eurozone gelten – aus politischer Sicht würde es einen schweren Schlag für die Währungsunion bedeuten. Deren Architekten sahen in der Möglichkeit eines Austritts einen destabilisierenden Faktor und betonten daher, dass der Euro irreversibel sei. Fraglich ist aber auch, unter welchen Kosten ein Austritt für das betreffende Land und seine Gläubiger vollziehbar wäre.

Aus dieser Perspektive muss die Konstruktion der WWU grundlegend reformiert werden. Eine Transfer- oder Schuldenunion wird hier ebenso diskutiert wie ein Austritts- bzw. Ausschlussmechanismus für einzelne Mitgliedstaaten oder eine weitreichende Zentralisierung der Fiskal- und Wirtschaftspolitik.

Diese Sicht auf die Krise der Eurozone fokussiert auf das Fehlen einer Instanz, die letztendlich die von den Mitgliedstaaten eingegangenen Schulden garantiert. Das Prinzip, dass Haftung und Verantwortung für Staatsverschuldung beim betreffenden Staat zusammenfallen, gilt in der Währungsunion nur eingeschränkt. Hinsichtlich der Refinanzierungskosten hatte sich für die Mitgliedstaaten eine Konvergenz hin zu niedrigen Zinssätzen ergeben. Trotz der Regel, dass die Gemeinschaft nicht für die Schulden einzelner Mitgliedstaaten in Haftung treten würde, bewerteten die Märkte ebenso wie die Rating-Agenturen die Staatsanleihen der Mitglieder der Eurozone einheitlich mit einem geringen Risiko. Die wirtschaftlich schwachen Länder profitierten damit in den ersten zehn Jahren der Währungsunion vom geringeren Ausfallrisiko der wirtschaftlich starken Mitglieder. Mit Ausbruch der Krise entkoppelten sich die Bewertungen und steigende Refinanzierungskosten verschärften die Lage der Krisenstaaten. Spekulationen auf bevorstehende Insolvenzen einzelner Staaten verstärkten die Gefahr einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Anstieg und Fall der Zinsen auf Staatsanleihen und der Preise für Versicherungen gegen Kreditausfall („Credit Default Swaps“) spiegelten über mehrere Jahre den Verlauf der Krise der Eurozone.

Aus dieser Perspektive wäre für die Eurozone ein Kreditgeber der letzten Instanz notwendig. Diese Rolle hat in der Krise der Eurozone de facto die EZB übernommen. Dass sie dabei im Grenzbereich ihres Mandats operieren muss, könnte allerdings in der Zukunft die Durchführung der Geldpolitik und letztlich die Stabilität des Euro unterminieren.

In einer Reihe von Ländern hatten die Regierungen im Vorfeld der Krise den Finanzsektor dereguliert und die Anhäufung von Risikokapital begünstigt. Diese Politik leistete einer verhängnisvollen Entwicklung Vorschub: Mit dem Ausbruch der Krise auf den Finanzmärkten gerieten eine Reihe von Banken in Schwierigkeiten. Um deren Zusammenbruch zu vermeiden, sahen sich zahlreiche Mitgliedstaaten zur Stützung dieser Kreditinstitute gezwungen. Dabei verschlechterte sich ihre eigene Haushaltsposition, so dass die Bewertung ihrer Anleihen sank. Diese Anleihen bildeten wiederum einen wichtigen Teil der Bankbilanzen, da Staatsanleihen international als risikoarme Wertpapiere klassifiziert wurden. Die Bilanzen der Banken gerieten also wiederum stärker unter Druck. Dieser Teufelskreis zwischen Banken und Staaten deutete auf eine entscheidende Schwäche der Regulierung der Bank- und Finanzsysteme hin. Für die Eurozone war diese Schwäche besonders relevant, da die gemeinsame Währung den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr förderte. Den grenzüberschreitend aktiven Banken und Finanzdienstleistern standen aber bis zum Ausbruch der Krise nur begrenzte Aufsichts- und Regulierungsinstanzen auf europäischer Ebene gegenüber.

Mit den unterschiedlichen Diagnosen der Krisenursache gehen kontrovers diskutierte Lösungsansätze einher. Diese wurden über den gesamten bisherigen Verlauf der Krise hinweg immer wieder unter hohem Zeitdruck ausgehandelt. Die zahlreichen Gipfel- und Sondergipfeltreffen, die verschiedenen Rettungspakete und die institutionellen Reformen hatten dabei häufig nur eine aufschiebende Wirkung. Dadurch setzte sich insbesondere die europäische Ebene der Kritik aus, nur Zeit gewinnen zu wollen, statt eine Lösung der Krise zu erreichen.

Ab August 2007 führte die EZB eine Reihe von temporären Maßnahmen ein, um das Finanzsystem durch die Zufuhr von Liquidität funktionsfähig zu halten. Unter anderem verlieh sie zeitweise Zentralbankgeld ohne Mengenbeschränkung an Banken und reduzierte die Bonitätsanforderungen für Wertpapiere, die dabei als Sicherheiten hinterlegt werden müssen.[v] Als im Frühjahr 2010 die Eurozone unter Druck geriet, begann die EZB, Staatsanleihen von Eurostaaten zu kaufen, um deren Refinanzierungskosten zu senken. Sie begründete das umstrittene Securities Market Programme (SMP) damit, dass sie ihre eigentliche Aufgabe – die Durchführung der Geldpolitik – in den betroffenen Staaten andernfalls nicht erfüllen könne, da der geldpolitische Transmissionskanal gestört sei. Ein weiteres Kaufprogramm für Wertpapiere einzelner Krisenstaaten kündigte die EZB 2012 an. Unter dem Namen Outright Monetary Transactions (OMT) stellte sie – vorbereitet durch die vielzitierte Rhetorik des EZB-Präsidenten, im Rahmen des Mandats der Zentralbank alles Nötige für den Erhalt des Euro zu tun – den unbegrenzten Aufkauf von Schuldtiteln eines Krisenstaates in Aussicht. Voraussetzung des bislang nicht zum Einsatz gekommenen OMT ist, dass das betreffende Land den Rettungsschirm ESM in Anspruch nimmt und sich dadurch zu weitreichenden Reformen und Sparanstrengungen verpflichtet.

Bereits die Ankündigung der Kaufprogramme führte jeweils zu einer Verringerung der Spekulationen gegen die Krisenstaaten. Gleichzeitig waren sie Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen. So legte das deutsche Bundesverfassungsgericht die ihm angetragene Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des OMT dem Europäischen Gerichtshof vor. Dessen Vorabentscheidung vom Juni 2015 sah das OMT vom Mandat der EZB abgedeckt.

Auch bei der Bereitstellung von Liquidität betrat die EZB für sie neues Terrain. Um den Banken die Refinanzierung zu erleichtern, hatte die EZB seit Ausbruch der Krise ihren Leitzins wiederholt reduziert. Im März 2016 erreichte der Leitzins schließlich die Marke von Null. Bereits seit Mitte 2014 mussten Banken für kurzfristige Einlagen bei der EZB negative Zinsen hinnehmen. Vor diesem Hintergrund startete die EZB im März 2015 ein Programm zum Kauf von Unternehmens- und Staatsanleihen. Dieses auch als „Quantitative Lockerung“ bezeichnete Vorgehen verfolgte das Ziel, die mit Blick auf die Zielvorgabe der EZB zu niedrige Inflation in der Eurozone zu erhöhen. Der Umfang des Programms wurde zunächst mit rund 1,1 Billionen Euro bis September 2016 angegeben.[vi]

Wann und wie die EZB den Ausstieg aus ihrer „unkonventionellen“ Geldpolitik gestalten wird ist nach wie vor unsicher. Eine offizielle Ankündigung für das Ende der Quantitativen Lockerung gibt es im Frühjahr 2017 noch nicht.

Im März 2010 sagten die Staats- und Regierungschefs der Eurozone koordinierte bilaterale Darlehen zu, falls sich Griechenland an den Finanzmärkten nicht mehr refinanzieren kann.[vii] Im Gegenzug sollte sich das Land zu einem harten Reform- und Sparprogramm verpflichten, auf europäischer Seite überwacht durch Kommission und EZB. Zusammen mit dem IWF bildeten die beiden Institutionen die sogenannte Troika (auf griechischen Wunsch nutzt man seit 2015 nur noch die Bezeichnung „Institutionen“). Das „Bail-out-Verbot“ nach Artikel 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) blieb damit allenfalls den Buchstaben nach gewahrt.[viii]

Anfang Mai 2010 verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der Eurozone unter dem Eindruck von Verwerfungen an den Finanzmärkten jedoch nicht nur ein Rettungspaket für Griechenland, sondern einen europäischen Stabilisierungsmechanismus, einen „Rettungsschirm“ für die gesamte Eurozone.[ix] Dieser Rettungsschirm bestand aus Kreditgarantien der Eurostaaten. Hinzu kamen Kreditzusagen aus gemeinschaftlichen Mitteln der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die zwischenstaatlich angelegten Kreditgarantien der Eurostaaten wurden über eine auf drei Jahre angelegte Zweckgesellschaft (EFSF) mit Sitz in Luxemburg bereitgestellt. Diese konnte am Kapitalmarkt zu günstigen Konditionen Kredite aufnehmen und an Krisenstaaten weiterreichen. Die Eurostaaten garantierten die von der EFSF vergebenen Kredite zu einem festen Anteil. Um sicherzustellen, dass die EFSF von Rating-Agenturen als sicher eingestuft wird und damit von niedrigen Zinsen profitiert, war die Garantiesumme höher als die tatsächliche Verleihkapazität. Das gemeinschaftliche Element des Rettungsschirmes (EFSM) bildeten Kredite aus dem EU-Haushalt, die Art. 122 Abs. 2 AEUV für von „außergewöhnlichen Ereignissen“ betroffene Mitgliedstaaten erlaubt.

Anfang 2012 wurde Art. 136 AEUV um die Möglichkeit der Schaffung eines „ständigen Krisenmechanismus zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt“ ergänzt. Der „Europäische Stabilitätsmechanismus“ (ESM) ist eine internationale Finanzinstitution, die auf einem im September 2012 in Kraft getretenen völkerrechtlichen Vertrag basiert. Der ESM löste die beiden temporären Instrumente EFSF und EFSM ab. Auch der ESM umgeht die Nichtbeistandsklausel des Art. 125 AEUV, indem ESM-Kredite an die Erfüllung eines wirtschaftspolitischen Reformprogramms gebunden sind. Daher bergen diese Kredite nach offizieller Interpretation nicht die Gefahr, Mitgliedstaaten zu einer unsoliden Haushaltspolitik zu verleiten.

Aufgrund eines eingezahlten Kapitals von rund 80 Mrd. Euro und Garantien in Höhe von rund 624 Mrd. Euro (der maximale Anteil Deutschlands liegt bei rund 190 Mrd. Euro) kann der ESM Mitgliedstaaten der Eurozone zinsgünstige Kredite im Umfang von bis zu 500 Mrd. Euro zur Verfügung stellen.[x] Bislang erhielten Portugal, Griechenland und Irland Finanzhilfen aus verschiedenen Teilen des Rettungsschirms, vom IWF und von Drittstaaten. Für Griechenland, Spanien und Zypern wurden ESM-Programme aufgelegt (das spanische und das zypriotische Programm wurden bereits 2014 beziehungsweise 2016 beendet). Für die Rückzahlung der Kredite sind dabei lange Zeiträume von teilweise mehreren Jahrzehnten vorgesehen.[xi]

Wie die „unkonventionellen“ Krisenmaßnahmen der EZB waren auch die Rettungsschirme und die nationalen Beiträge und Kreditgarantien Gegenstand von Gerichtsverfahren. In zwei Entscheidungen aus 2012 und 2014 hielt beispielsweise das deutsche Bundesverfassungsgericht die Haushaltsautonomie des Bundestages unter bestimmten Voraussetzungen für gewahrt und gestatte der Regierung die Beteiligung am ESM.[xii] 

Innerhalb des institutionellen Gefüges der WWU wurde 2011 und 2012 der Stabilitäts- und Wachstumspakt – bereits zum zweiten Mal nach 2005 – reformiert.[xiii] Unter anderem wurde hinsichtlich der Verhängung von Sanktionen die umgekehrte qualifizierte Mehrheit eingeführt. Dadurch soll es für Mitgliedstaaten, die gegen den Pakt verstoßen, schwieriger werden, Sanktionen zu entgehen. Auch die bislang verhältnismäßig unverbindliche Koordinierung der Wirtschaftspolitik erhielt im Zuge dieser Reformen einen strikteren, teilweise auch sanktionsbewehrten Rahmen. Weitere Projekte, mit denen nicht zuletzt das Vertrauen der Finanzmärkte in die gemeinsame Währung wiederhergestellt werden sollte, umfassen den 2011 beschlossenen Euro-Plus-Pakt[xiv] zur engeren wirtschaftspolitischen Koordinierung sowie den 2013 in Kraft getretenen Fiskalvertrag[xv]. Bei diesen Reformen, die primär von den Mitgliedstaaten der Eurozone vorangetrieben wurden, erhielten die übrigen EU-Mitgliedstaaten verschiedene Beteiligungsmöglichkeiten.

Auch dieser Problemkomplex ist davon betroffen, dass der Mitgliederkreis von EU und Eurozone nicht deckungsgleich ist. Zahlreiche Finanzinstitutionen, die ihren Sitz in der Eurozone haben, waren und sind auch in den anderen EU-Staaten (wie auch in Drittstaaten) aktiv. Die Aufsicht über grenzüberschreitende Aktivitäten erwies sich in der Finanzkrise sowohl innerhalb wie auch außerhalb der Eurozone als ungenügend. Die Europäische Kommission richtete Ende Oktober 2008 eine Expertengruppe unter der Leitung von Jacques de Larosière ein, um Vorschläge für eine Reform der bestehenden Aufsichtsstrukturen zu erarbeiten.[xvi] Kurzfristig sollten jährliche EU-weite „Stresstests“ für Banken dazu beitragen, das Vertrauen innerhalb des europäischen Finanzsystems wieder herzustellen. Darüber hinaus wurden Reformen der europäischen Aufsichts- und Regulierungsinstitutionen und der Regeln für Finanzdienstleistungen angestoßen. Auch auf internationaler Ebene beteiligten sich die EU und ihre Mitgliedstaaten an Reformen, etwa im Rahmen des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht.

Ab 2013 setzten die Mitglieder der Eurozone mit der Bankenunion einen weiteren Schritt um. Die Bankenunion besteht derzeit aus zwei Säulen: einem einheitlichen Aufsichtsmechanismus und einem einheitlichen Abwicklungsmechanismus (eine dritte Säule, ein Europäisches Einlagensicherungssystem, wird noch diskutiert).[xvii] EU-Mitgliedstaaten, die den Euro nicht eingeführt haben, können auf freiwilliger Basis als Kooperationspartner am Aufsichts- und am Abwicklungsmechanismus teilnehmen. Auf diese Weise soll eine Spaltung zwischen den Finanzsystemen innerhalb und außerhalb der Eurozone abgemildert werden.

Innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus ist die EZB für die Aufsicht der größten Banken der Eurozone zuständig. Die Zusammenarbeit der für die übrigen Banken zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden auf europäischer Ebene wird verstärkt. Der einheitliche Abwicklungsmechanismus soll im Fall einer erneuten Krise ungeordnete Insolvenzen mit potentiell schwerwiegenden Ansteckungseffekten verhindern. Diese zweite Säule einer Bankenunion umfasst Instrumente zur Restrukturierung von in Schieflage geratenen Banken. Auch der Abwicklungsmechanismus ist dezentral angelegt und versammelt die nationalen Abwicklungsbehörden unter Führung einer neugeschaffenen, als Abwicklungsausschuss (SRB) bezeichneten Europäischen Agentur.

Die Bankenunion ist darüber hinaus eingebettet in neue, reformierte Finanzmarktstrukturen auf EU-Ebene. Ein „einheitliches Regelwerk“, das für alle Banken in allen EU-Mitgliedstaaten gilt, harmonisiert unter anderem Eigenkapitalvorgaben, Einlagensicherungssysteme und die Abwicklung von Banken. Seit 2011 existiert die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) als Zentralorgan der nationalen Bankenaufsichtsbehörden. Sie ist eine von drei EU-Aufsichtsbehörden, die zusammen mit dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) und den jeweils zuständigen nationalen Aufsichtsbehörden das Europäische System der Finanzaufsicht (ESFS) bilden und für die EU-weite Regulierung der Finanzmärkte zuständig sind.

Eurozone wie auch WWU haben sich durch die Krise stark verändert. In ihrer gegenwärtigen Form sind sie dabei nicht das Ergebnis eines in sich schlüssigen Neuentwurfs, sondern basieren auf zahlreichen Kompromissen im mehrjährigen Verlauf der Krise. In diesem Zusammenhang wird regelmäßig darauf hingewiesen, dass die Krise durchaus nicht ausgestanden sei. Kritiker, zu denen unter anderem der IWF zählt, halten beispielsweise einen Schuldenschnitt für Griechenland für unvermeidbar. Andere sehen die Eurozone auf dem Weg in eine Transferunion, in der wohlhabende Mitgliedstaaten Krisenländer alimentieren müssen, ohne dass ihren Bürgern ein nennenswertes Mitspracherecht verbleibt. Befürworter des eingeschlagenen Kurses verweisen dagegen auf die Chance, dass sich die WWU im Zuge der jüngsten Reformen zu jener starken Gemeinschaft entwickelt, deren Schaffung in den 1990er Jahren nur zum Teil gelungen war.

  • Das Hintergrundpaper ist Teil des Themenpakets „Finanzen/WWU“ im Projekt TruLies – The Truth about Lies on Europe.
    Dem Themenpaket sind die folgenden Factsheets zugehörig:

 

† Nr. 1 „EZB-OMT“

† Nr. 2 „Goldesel Deutschland“

† Nr. 3 „Schuldenschnitt“

† Nr. 4 „EZB-Niedrigzinspolitik“

† Nr. 5 „Euro“

  • Autor des Hintergrundpapiers ist Dr. Tobias Kunstein, Geschäftsführer des Instituts für Politische Wissenschaft und europäische Fragen, Universität zu Köln.

[i][i] Vgl. European Commission (2009): Economic Crisis in Europe: Causes, Consequences and Responses, European Economy 7, S. 62ff.

[ii] Vgl. ibid, S. 41ff.

[iii] Art. 126 Vertrag über die Europäische Union (EUV); Protokoll (Nr. 12) über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit, in: Amtsblatt der EU, Nr. C 83 vom 30. März 2011, S. 279-280. Der 1997 geschaffene Stabilitäts-und Wachstumspakt präzisiert die vertraglichen Vorgaben.

[iv] Vgl. Kevin Featherstone (2011): The Greek Sovereign Debt Crisis and EMU: A Failing State in a Skewed Regime, Journal of Common Market Studies 49(2): S. 193–217, hier S. 199.

[v] Vgl. European Central Bank (2010): The ECB’s Response to the Financial Crisis, Monthly Bulletin 10, Frankfurt, S. 51-74.

[vi] Vgl. EZB (2015): Pressemitteilung: EZB kündigt erweitertes Programm zum Ankauf von Vermögenswerten an, abrufbar unter: https://www.ecb.europa.eu/press/pr/date/2015/html/pr150122_1.de.html (letzter Zugriff: 21.04.2017).

[vii] Vgl. Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets (2010): Erklärung, Brüssel, den 25. März, S. 1.

[viii] Vgl. Martin Seidel (2010): Aktuelle Probleme der europäischen Währungsunion, in: integration 4, S. 334-349, hier S. 344-346.

[ix] Vgl. Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets, Brüssel, 7. Mai

2010, in: Generalsekretariat des Rates (Hrsg.): Der Europäische Rat 2010, Luxemburg 2011, S. 29.

[x] Vgl. Bundesfinanzministerium (2017): Europäische Finanzhilfen: ESM. Die wichtigsten Zahlen der ESM-Finanzhilfeprogramme im Überblick und monatlich aktualisiert, Stand: 28. Februar 2017, abrufbar unter: http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Europa/Stabilisierung_des_Euro/europaeische-finanzhilfen-esm.html (Letzter Zugriff: 06.05.2017).

[xi] Vgl. Jürgen Mattes,(2015): Fünf Jahre Euro-Rettungsschirm: Eine Bilanz, IW Policy Paper 12, Köln, Institut der deutschen Wirtschaft, S. 14.

[xii] BVerfG, Urteil vom 12. September 2012, 2 BvR 1390/12; BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2014, 2 BvR 2728/13.

[xiii] Vgl. Martin Heipertz und Amy Verdun (2005): The Stability and Growth Pact – Theorizing a Case in European Integration, Journal of Common Market Studies 43(5): S. 985-1008; Marion Salines et al. (2012): Existential crisis, incremental response: the eurozone’s dual institutional evolution 2007–2011, Journal of European Public Policy 19(5), S. 665-681.

[xiv] Vgl. Daniel Gros und Cinzia Alcidi (2011): Was bringt der »Euro-plus-Pakt«?, integration 2: S. 164-171.

[xv] Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung In der Wirtschafts- und Währungsunion vom 02.03.2012, deutsche Fassung. abrufbar unter: http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/2013-04-19-fiskalvertrag-deutsche-fassung.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (letzter Zugriff: 05.04.2017).

[xvi] Vgl. High Level Group on Financial Supervision in the EU (2009): Report of the group chaired by Jacques de Larosière, Brüssel.

[xvii] Vgl. Bundesministerium der Finanzen (2014): Die Europäische Bankenunion – Wie weit sind wir schon?, Monatsbericht, Juni, S. 11-16.