Europapopulismus in Deutschland
IEP-Mittagsgespräch „TruLies" mit Manuel Sarrazin, MdB am 20. September 2016
Wie soll mit Europakritik und Populismus in Deutschland umgegangen werden? Diese Frage stand im Mittelpunkt des IEP-Mittagsgesprächs am 20. September 2016 mit Manuel Sarrazin, MdB, und Dr. Funda Tekin. Aus praktischer Politikperspektive und politikwissenschaftlicher Unterfütterung wurden die irrationale europapopulistische Argumentationsmuster und Ansätze für Gegenstrategien diskutiert. Deutlich wurde aber auch, dass die Diskussion mit Populisten und Euroskeptikern nicht faktenbasiert, sondern auch emotional geführt werden muss. Das Mittagsgespräch fand im Rahmen des Forschungsprojektes „TruLies – The Truth about Lies on Europe“ statt, welches das IEP zusammen mit dem Progressiven Zentrum durchführt und das von der Stiftung Mercator gefördert wird. Moderiert wurde die Veranstaltung von der stellvertretenden Direktorin des Instituts für Europäische Politik, Dr. Katrin Böttger.
Manuel Sarrazin war als europapolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und Kuratoriumsmitglied des IEP sowie als im Umgang mit Europakritikern erprobter Fachexperte eingeladen, in der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin zum Thema „Europapopulismus in Deutschland“ zu sprechen. Nach einer kurzen Begrüßung von Bernhard Schnittger, stellvertretender Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, setzte Sarrazin zu seiner Problemanalyse an: Die zunehmende Individualisierung westeuropäischer Politik biete PopulistInnen eine Nische, welche diese u.a. durch die Negativkonnotierung von Europathemen füllen würden. Ihre Strategie verbinde Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Politik mit einer pessimistischen Zukunftsperspektive, sowie eine Infragestellung grundsätzlicher Positionen zur europäischen Einigung und die Abgrenzung von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen. Gepaart mit einem in der EU aktuell vorherrschenden Krisendiskurs führe dies zu einer negativen Wahrnehmung des europäischen Integrationsprozesses. Zur Lösung multikausaler Probleme böten PopulistInnen lediglich ‚einfache Antworten‘ und das Versprechen, dass Probleme effizienter auf nationalstaatlicher statt auf supranationaler Ebene gelöst werden könnten. Im Hinblick auf konkrete Handlungsempfehlungen gegenüber dem zunehmenden Europapopulismus plädierte Sarrazin dafür, populistische Zukunftsperspektiven nicht nur mit Argumenten zu begegnen, sondern auch einen positiven Gegenentwurf zur momentan stark verbreiteten negativen Lesart der EU zu entwickeln.
Dr. Funda Tekin vom Centre international de formation européenne (CIFE) kommentierte die Ausführungen anschließend aus politikwissenschaftlicher Perspektive und stellte das Forschungsprojekt „TruLies“ vor, das eine Analyse und Dekonstruktion der diskutierten europaskeptischen Argumente vornimmt. Sie betonte, dass Kritik an der EU nicht nur legitim, sondern sogar wünschenswert ist, solange sie konstruktiv erfolge. Europapopulistische Behauptungen und Lösungsvorschläge müsse man hingegen in einem Faktencheck auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen und Populisten so offensiv und faktenbasiert zur Rede stellen.
Abschließend antworteten Sarrazin und Tekin auf Nachfragen des interessierten Publikums. Auf die Frage nach möglicher populistischer Vereinnahmung direkter Beteiligungsinstrumente machte sich Sarrazin für den Ausbau der Europäischen Bürgerinitiative stark, da diese weniger anfällig für populistische Vereinnahmung sei als direkte Partizipationsangebote zu EU-Themen auf nationaler Ebene. Tekin verwies in diesem Zusammenhang auf die ambivalenten Erfahrungen Dänemarks mit Referenden auf nationalstaatlicher Ebene. Mit Bezug auf das wahrgenommene Demokratiedefizit in der EU plädierte Sarrazin für eine transparentere Kommunikation europäischer Entscheidungen und warb für eine Unterstützung der Zivilgesellschaft zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements. Aktuell gebe es diesbezüglich nämlich viel zu kritisieren, aber durchaus auch viele positive Beispiele für eine aktive und konstruktive Bürgerschaft.