Trumpetisierung europäischer Politik? Ein pessimistischer Ausblick auf 2017
Florian Hartleb
In Deutschland wie im restlichen Europa tun sich Politik und Medien schwer mit wirksamen Rezepten gegen eine neue Welle des Populismus. Ein Kommentar von Florian Hartleb.
Nach dem Brexit-Schock und den Kampagnen der Populisten mit dem Motto „EU – nein, danke!“ stellt sich die Frage, was in Europa derzeit schiefläuft. Dafür sorgen zwei Themen: die neue Dimension von Immigration durch die Flüchtlingskrise sowie eine erhöhte Terrorgefahr. Die jüngsten Anschläge haben nicht nur in Frankreich und Deutschland die Bevölkerung verunsichert. Die Stunde der Populisten schlägt: Demagogen können auf eine breite Unterstützerschaft zählen, wie ein Blick etwa auf das Brexit-Referendum und die US-Wahlen zeigt: Donald Trump übertraf jede Vorstellung, was an Demagogie und Tabubruch in einer „alteingesessenen” Demokratie möglich ist. Eine Trumpetisierung könnte auch in den anstehenden Wahlkämpfen in Frankreich und Deutschland anstehen. Zwar ist es noch alles andere als sicher, dass Marine Le Pen Präsidentin wird, doch ihr wahrscheinlicher Einzug in das Finale wird die mediale und politische Verunsicherung über die derzeitige Entwicklung weiter befeuern. In Deutschland könnte eine erfolgreiche AfD das Ende der Merkel-Ära bedeuten, zumal die Kanzlerin als „Mutter der Willkommenskultur“ gilt, die längst zum Sicherheitsrisiko geworden ist.
Post-Truth und die Verführbarkeit der Massen
Die Demokratie selbst wirkt mehr und mehr wie eine reflexhafte Empörung im Echtzeit- oder „Sofortismus“-Format. Das Oxford English Dictionary erklärte „post-truth“ zum „International Word of the year 2016“. Die Gesellschaft der deutschen Sprache zog nach und benannte „postfaktisch“ zum Wort des Jahres. Hier zeige sich eine bedenkliche Entwicklung in Politik und Gesellschaft, wonach Fakten eine immer kleinere, Emotionen hingegen eine immer größere Rolle spielen. Mittlerweile haben Politiker den Begriff des postfaktischen Zeitalters bereits in ihr Vokabular aufgenommen, darunter Angela Merkel. Donald Trump gilt als führender Vertreter und praktisches Beispiel. Eine beliebte Plattitüde lautet: Fakten zählen nichts mehr. Politik kam jedoch schon im analogen Zeitalter ohne Flunkern und Verdrehung der Tatsachen nicht aus. Das gilt zum Beispiel für den Vietnam- oder Irakkrieg. Beide wurden im Sinne von US-amerikanischer Kriegspropaganda mit Lügen in Form von fabrizierten Geheimdienstberichten gerechtfertigt. Wer daher nun das postfaktische Zeitalter verkündet, verklärt damit auch die Vergangenheit.
Wer daher nun das postfaktische Zeitalter verkündet, verklärt damit auch die Vergangenheit
Über die leichte Verführbarkeit der Massen auch in Demokratien gibt es schon seit langem eingehende Diskussionen. Der Franzose Gustave Le Bon hat hier mit seinem erstmals 1895 veröffentlichten Werk „Psychologie der Massen“ einen bis heute wirksamen Einfluss ausgeübt. Bei seiner Untersuchung bezog sich der Arzt und Psychologe auf die Antike, die Französische Revolution und die Herrschaft Napoleons. Die Masse sei „triebhaft und wandelbar“, neige zu „Überschwang und Einseitigkeit“, „Erregbarkeit, Leichtgläubigkeit und Einfalt“. Ihr gegenüber steht der Anführer, der sie, auch rhetorisch, zu behandeln weiß: „In allen sozialen Schichten, von der höchsten bis zur niedrigsten, gerät der Mensch, sobald er nicht mehr allein steht, leicht unter die Herrschaft eines Führers.“ Edward Bernays, in den USA sozialisierter Neffe von Sigmund Freud, gilt als Vorreiter der modernen Public Relations. In seinem 1928 erschienenen Buch „Propaganda“ schreibt er gleich zu Beginn: „Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element der demokratischen Gesellschaft.“ Der Masse spricht er nicht die Befähigung zu, rational urteilen zu können. Propaganda hat die Funktion, ihre Wünsche in geordnetere Bahnen zu lenken.
Mediale und politische Antworten auf Rechtspopulismus
Die traditionellen Medien stehen in der Pflicht, etwa die Propagandamaschine aus dem Kreml zu stoppen. Die institutionalisierte Partnerschaft der FPÖ mit Putins Russland könnte zu einer neuen Form von Medienschlacht führen. Die bisherigen Versuche etablierter Medienvertreter, Populisten wie Donald Trump, Marine Le Pen, Heinz-Christian Strache oder Geert Wilders mit Qualitätsjournalismus zu begegnen, haben bisher allerdings nur sehr eingeschränkt Erfolge erzielt.
Der Vormarsch der Populisten macht unsere Demokratien intoleranter
Die allgemeine mediale Ablehnung zeigt beim Wähler offenbar wenig Wirkung. Aufgrund der von Populisten betriebenen Manipulation in den sozialen Medien empfiehlt es sich, die Kommentarfunktion gänzlich abzuschalten. Zu gravierend haben sich hier das Schreiben von Hasskommentare und Empörungsrituale verbreitet. Der Vormarsch der Populisten macht unsere Demokratien intoleranter und letzten Endes auch patriarchalischer. Wird es salonfähig, ein ganzes Volk als „Vergewaltiger und Kriminelle“ zu beschimpfen, wie es Donald Trump mit Blick auf die Mexikaner in seiner Wahlkampagne vormachte? Ist es möglich, nun über Hackerangriffe sogar Wahlen zu manipulieren? Europäische Politik trumpetisiert sich, zumindest dem Stil nach. Es zeichnet sich wie in den USA die Tendenz ab, dass die Mehrheit der Bürger sich mittlerweile über die sozialen Medien informiert. Politisches Unternehmertum wählt, ebenso wie die Politik, den Weg der Verflachung und Verkürzung.
Für den Westen bedeutet das (einmal mehr) einen Abschied von alten Gewissheiten in einer individualisierten wie globalisierten Welt. Neue Netzwerke sind bereits zu Russlands Putin entstanden. Ob Europa diesmal stark genug ist, falsche Propheten, die nach den Launen des Augenblicks in der virtuell gewordenen Welt agieren, in die Schranken zu weisen, eine neue Aufbruchsstimmung zu erzeugen und einmal mehr seine Erneuerungskraft zu zeigen? Ohne vertrauensbildende Maßnahmen in die Beharrungskräfte seiner repräsentativen Entscheidungsregeln und Institutionen sowie bessere Antworten auf die gegenwärtig fieberartigen Modernisierungsschübe wird dieser Ruck nicht gelingen. Es gibt schließlich keine Ewigkeitsgarantie, zumal der Populismus eine ganz neue Stufe erreicht hat, die vor wenigen Jahren keiner vorhersah. Vor einem zivilisatorischen Rückschritt sind wir keineswegs gefeit.
Dr. Florian Hartleb ist Politikwissenschaftler und Autor. Der Kommentar ist eine Zusammenfassung der Ergebnisse seines im März erscheinenden Buches „Die Stunde der Populisten. Wie sich unsere Politik trumpetisiert und was wir dagegen tun können“ (Wochenschau-Verlag).