Professionelle Medien, Populistische Medien
Benjamin Krämer, Ludwig-Maximilians-Universität München
Rechtspopulistische Medien verstehen sich als Sprachrohr „des Volkes“, definieren jedoch wesentliche Gruppen aus dem Volk heraus. Aber gerade auch ein Journalismus, der sich als professionell und nichtpopulistisch versteht, zeichnet oft ein Bild der Welt und nutzt Deutungsmuster, die mit einem rechtspopulistischen Weltbild kompatibel sind. Es braucht also eine Verständigung darüber, welche Art von Diskurs der Journalismus eigentlich führen und ermöglichen will und wie er auf rechtspopulistische Instrumentalisierungsversuche reagieren sollte – eine Besinnung auf eine wohlverstandene Professionalität.
Es gibt Medienorgane, die sind relativ eindeutig rechtspopulistisch ausgerichtet: Sie verstehen sich als Sprachrohr „des Volkes“, das sie ethnisch und kulturell abgrenzen. Sie klagen die herrschenden Eliten als Volksverräter (oder „Feinde des Volkes“) an, beschwören einen Konflikt der Kulturen und berichten intensiv über kriminelle und angeblich schmarotzende Zugewanderte. Das „Wir“, das diese oft boulevardesken Medien in ihren Schlagzeilen führen und in dessen Namen sie Forderungen stellen, wird impliziert definiert als die „traditionalistischen, ehrlichen, arbeitswilligen Alteingesessenen eines Landes“ (allerdings definieren verschiedenste, gerade auch sozialdemokratische Akteure die „mittige“ Klientel, die sie vertreten wollen, über ihre Arbeitsleistung und neigen dazu, Ansprüche auf soziale Absicherung daran zu koppeln).
Diese Medien konstruieren also einen einheitlichen Volkswillen, indem sie bestimmte Gruppen aus dem Volk herausdefinieren.
Einige dieser Organe verstehen sich regelrecht als Fanpostille populistischer Bewegungen und Akteure, dienen ihnen als Sprachrohr und verteidigen sie auch bei jedem Skandal. In anderen Fällen nutzen Medien zwar häufiger populistische Deutungsrahmen, bewahren jedoch Distanz zum organisierten Rechtspopulismus oder bekämpfen ihn zeitweise sogar aktiv – vielleicht, weil sie sich doch dem bestehenden politischen System und seinen Eliten verpflichtet fühlen oder ihren Alleinvertretungsanspruch als „Volkes Stimme“ nicht aufgeben möchten. Weniger offensichtlich als diese plakativen Umsetzungen eines rechtspopulistischen Weltbildes in journalistische Inhalte ist freilich der mögliche Beitrag anderer Medien zum Aufstieg des Rechtspopulismus. Ich möchte zunächst in zwei Schritten darstellen, wie Routinen qualitätsjournalistischer Professionalität dem Rechtspopulismus in die Hände spielen, bevor ich erläutere, wie eine Besinnung auf die normativen Grundlagen eines freiheitlichen und pluralistischen Journalismus dem Rechtspopulismus begegnen könnte.
Die Fallstricke der Professionalität
Gerade wenn der Journalismus seine Vorstellungen von Professionalität getreulich verfolgt, entsteht manchmal eine Repräsentation der Welt, die – in der Regel ungewollt – mit der rechtspopulistischen Weltsicht in manchen Zügen zumindest kompatibel ist.
Objektiver Journalismus tritt mit dem Anspruch an, einen „Blick von nirgendwo“ einzunehmen: Er berichtet (jenseits der Kommentare) ohne erkennbaren eigenen Standpunkt, was wichtig ist.
Freilich bestimmt sich diese Relevanz dann doch oft auf recht ethnozentrische Weise. Statt einer durchgehend kosmopolitischen und auch europäischen Haltung werden politische Sachverhalte aus der Sicht einer Konkurrenz und Selbstbehauptung der Staaten betrachtet. Probleme werden häufig danach beurteilt, ob das je eigene Land betroffen ist, man sie den eigenen Staatsgrenzen fernhalten oder sie nach woanders „abschieben“ kann. Auch innerhalb des eigenen Landes berichten die Medien oft aus einer Perspektive, als richteten sie sich an eine spezielle ethnische Zielgruppe („as if white ethnic media“), nur dass dies nicht auffällt, da es sich um die angestammte, als Normalbevölkerung definierte Gruppe handelt. Der Rechtspopulismus treibt das Prinzip lediglich auf die Spitze, dass Geflüchtete und Zugewanderte keine Ansprüche haben und stellen dürfen, sondern nur „Gäste“ seien, welche von der Gnade der „Gastgeber“ abhängig sind und sich durch Wohlverhalten der Unterstützung würdig erweisen müssen. Das ist freilich eine Vorstellung, die weit über den Rechtspopulismus hinaus anschlussfähig scheint: Nicht-Staatsbürger werden nur als Objekte, nicht als Subjekt der Politik behandelt; nicht als Personen, die selbst Ansprüche geltend machen dürfen, sondern über die aus der Perspektive anderer gesprochen wird.
Journalistische Ausgewogenheit scheint ebenfalls ein einfaches und einleuchtendes Prinzip zu sein: alle Seiten zu Wort kommen zu lassen.
Freilich steht und fällt es mit der Definition der Seiten. Der Journalismus kann damit Standpunkte als legitim adeln, Differenzierungsmöglichkeiten schaffen oder über sie hinweggehen. So kann er auch die Selbstbeschreibung rechtspopulistischer Akteure bestätigen, dass sie die einzige Alternative zur Gesamtheit der restlichen politischen Parteien seien. Je nach journalistischer Arbeitsweise kann z.B. alleine eine (womöglich besonders laute) rechtspopulistische Kritik am europäischen oder deutschen Grenzregime hervorgehoben oder eben auch eine liberale Kritik sichtbarer werden.
Wahrheit und Vollständigkeit scheinen ebenso einleuchtende und unverhandelbare Prinzipien des Journalismus zu sein. Jedoch besteht immer die Gefahr, dass sich der Journalismus scheinbar selbstverständlicher oder natürlicher Kategorien bedient und so den Eindruck verstärkt, es handele sich dabei um das Wesen einer Sache oder bestimmter Menschen. Vielleicht ohne dass man es wirklich möchte, neigt man immer mehr dazu, Personen in Deutsche und Ausländer einzuteilen und einen Gegensatz zwischen „dem Islam“ und „unserer“ Lebensweise zu konstruieren. Besonders brisant wird es, wenn solche Kategorien in der Berichterstattung zunehmend alternativlos werden und immer enger mit Themen wie Kriminalität und Terrorismus verbunden werden. Dies verstärkt sich so weit, bis ihre Herkunft die einzige „Wahrheit“ mancher Personen und gegen jede kriminologische Erkenntnis der wesentliche Faktor bei der Betrachtung von Kriminalität wird. So erscheint es vielen heute, dass etwas „verheimlicht“ werde, dass Berichterstattung unwahrhaft und unvollständig sei, wenn die Herkunft von Tätern nicht genannt wird, obwohl Berichten natürlich immer bedeutet, auszuwählen und Hypothesen über die Welt aufzustellen (etwa darüber, was einen Sachverhalt wirklich erklärt und deshalb genannt werden muss). „Mitteilen heißt auswählen.“
Der Journalismus hat nicht nur die Funktion, aktuelle Geschehnisse zu vermelden. Er liefert zusätzlich einordnende Deutungen und Debattenbeiträge, ja auch Unterhaltung durch literarischere Stilformen, die Zurschaustellung geistiger Brillanz oder unkonventionelle und kontroverse Sichtweisen. In solchen Genres werden durchaus Deutungsmuster genutzt, welche in das rechtspopulistische Weltbild passen (sei es, weil man sie ernsthaft vertritt oder weil man sie als „erfrischende“ oder aufmerksamkeitsträchtige Provokation einsetzt).
Insbesondere die These einer schleichenden Islamisierung, der falschen Toleranz und Unterwürfigkeit gegenüber einem wesensmäßig antimodernen Islam wurde immer wieder vertreten und mit oft sogar unzutreffenden Anekdoten belegt.
So werden mitunter Berichte des etablierten Journalismus über kriminelle Geflüchtete von rechtspopulistischen Akteuren und Medien bereitwillig als hundertfache anekdotische Belege für ihr Weltbild genutzt. Hinzu kommen auch oft noch falsche Gerüchte. Zugespitzt lässt sich behaupten, dass auch der gegenwärtige Anti-Medien-Populismus (oder „Lügenpresse“-Vorwurf) zu einem nicht geringen Teil von den etablierten Medien selbst inspiriert worden sein könnte. In den Feuilletons und Kolumnen der Qualitätsmedien konnte man z.B. schon vor Jahren Polemiken gegen die „politische Korrektheit“ und gutmenschenhafte Einheitsmeinung im Journalismus lesen. Wenn es nicht etwas hämisch klänge, könnte man die These aufstellen, dass es auch in den Medien veröffentlichte Versatzstücke veröffentlichter rechtspopulistischer Ideologie und Elitenfeindlichkeit sind, die vulgarisiert als Lügenpresse-Vorwurf wieder auf die Medien als Teil einer wahrgenommenen Gesamtelite zurückfallen.
Eine Verteidigung wohlverstandener journalistischer Professionalität
Es reicht nicht aus, sich im etablierten Journalismus mehr oder weniger regelmäßig, ja fast rituell gegen den Rechtspopulismus auszusprechen. Ferner ist es nicht zielführend, einfach noch mehr Schlagfertigkeit im direkten Umgang mit rechtspopulistischen Akteuren zu fordern (oder entsprechende Interviews zu feiern). Es wird auch nicht reichen, noch mehr Professionalität im obigen Sinne zu fordern, wenn sie, wie dargelegt, höchst ambivalent sein kann. Ebenso wenig sollte man einfach hoffen, rechtspopulistische Akteure würden sich schon selbst entlarven, wenn man sie nur unkontrolliert reden lässt. Und schließlich würde es auch ihre Selbstdarstellung als Opfer der „politischen Korrektheit“ bestätigen, sie ganz ohne Nennung von Gründen einfach nicht mehr zu Wort kommen zu lassen.
Akteure des Journalismus sollte vielmehr verstärkt daran arbeiten, die Öffentlichkeit auch mit Argumenten, nicht nur mit Meinungen zu versorgen.
Das schließt wohlbegründete Stellungnahmen dazu ein, welche Art von Diskurs der Journalismus eigentlich führen und ermöglichen will und wie darin mit Rechtspopulismus umgegangen werden sollte. Der Journalismus macht sich derzeit nämlich gerade auch angreifbar, indem er selten transparent macht und begründet, welchen Akteuren er eine Plattform für ihre Äußerungen bietet und welche Äußerungen er nur distanziert vermeldet oder als irrelevant bzw. abwegig oder illegitim beiseite lässt. Ein solcher Maßstab könnte ein Diskurs sein, in dem mit rationalen Gründen Stellungnahmen zu Sach- und Wertfragen vorgebracht und kritisiert werden. Viele im Journalismus dürften sich anschließen können, dass das der eigentliche Kern der Professionalität wäre: das, was mit den journalistischen Normen und Routinen eigentlich erreicht werden sollte. Ein solcher Diskurs lässt sich aber nicht sinnvoll führen, wenn einige ihn nur für ihre Zwecke ausnutzen, ohne dabei ernsthaft mit guten Gründen überzeugen zu wollen und ohne die Argumente anderer prinzipiell anzuerkennen. Solche Akteure instrumentalisieren die anderen Beteiligten nur, indem sie bewusst zweideutig sprechen, provozieren, sich theatralisch inszenieren und rhetorische Tricks verwenden (die Medien verschaffen rechtspopulistischen Akteuren und ihren Themen oft eine enorme Aufmerksamkeit, indem sie sich von ihren oft mehrdeutig formulierten Provokationen steuern lassen und dann auch noch deren anschließende Klagen über die empörten Reaktionen weiterverbreiten, man sei bewusst missverstanden worden und dürfe sich nicht mehr frei äußern). Bei solchen Äußerungen wäre es angebracht, sie nicht einfach nur gleichrangig neben andere zu stellen, sondern auf die Instrumentalisierung hinzuweisen und nur auf einen eventuellen sachlichen Kern zu reduzieren, der rational diskutiert werden kann.
Ein solcher Diskurs ist notwendigerweise pluralistisch: Er geht von einer Vielfalt der Perspektiven und Lebensweisen statt z.B. von einem ausgrenzenden homogenen Volksbegriff aus, sodass niemand von vornherein behaupten kann, für viele oder alle („das Volk“) zu sprechen. Die Standpunkte treffen erst im Diskurs aufeinander und müssen sich ggf. durch gegenseitige Kritik umformen lassen.
In einem vernünftigen Diskurs müssen daher alle zu Wort kommen können, die in irgendeiner Weise betroffen sind bzw. einen relevanten Standpunkt einbringen können.
Dies schließt ausdrücklich nicht nur einheimische Staatsangehörige oder gar nur die Alteingesessenen ein. Statt selbst auf einem ethnozentrischen Standpunkt zu verharren, muss der Journalismus deswegen auf Widersprüche hinweisen, wenn rechtspopulistische Haltungen in Diskursen vertreten werden: Man kann nicht selbst alle Freiheitsrechte für sich einfordern und Ansprüche in einem Diskurs stellen, aber immer neue Gruppen aus dem Volk herausdefinieren und aus dem Diskurs ausschließen wollen, die Ansprüche anderer von vornherein für irrelevant erklären (weil es sich nur um „Gäste“, die „Lügenpresse“, die illegitimen „Altparteien“ usw. handele).
Auch vom Journalismus selbst müssen Ansprüche und Sorgen z.B. von Geflüchteten und Personen mit Migrationshintergrund in den Diskurs eingebracht werden (wo sie natürlich auch mit Gründen abgelehnt werden können) statt nur aus privilegierter Position über sie zu verhandeln oder sie nur als Kriminelle, übermenschliche Muster-Migranten oder Exoten vorkommen zu lassen. Die Aufgabe der Medien wäre dann, diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die der Rechtspopulismus vom Diskurs ausschließen will, und ausschließende Äußerungen nicht durchgehen zu lassen. Außerdem darf sich der Journalismus auch nicht durch diskreditierende Angriffe vor sich hertreiben, ja regelrecht steuern lassen: Rechtspopulistische Medienfeindschaft kann nicht dazu führen, dass man gewissen Standpunkten noch mehr Raum gibt und jedes kleinste Ereignis berichtet, das ins rechtspopulistische Weltbild passt, nur um sich keiner Kritik auszusetzen.
Man kann die rechtspopulistische Haltung vieler Menschen auch als rebellischen Traditionalismus verstehen, der sich aus einem Gefühl der Entfremdung angesichts des kulturellen Wandels, der Veränderung der Lebensformen und -ziele, Geschlechterverhältnisse, sowie des Wirtschaftssystems speist. Die rechtspopulistische Ideologie liefert dann die Begriffe und Weltbeschreibungen, um diese Entfremdung fassen und verarbeiten zu können. Einer der Gründe für diese Entfremdung und auch für die rechtspopulistische Medienfeindschaft könnte sein, dass die Medien überwiegend den kulturellen Wandel mittragen bzw. zumindest widerspiegeln.
Populistinnen und Populisten entzaubern und entlarven sich in den Medien und an der Regierung nur für jene, die ohnehin nicht ihr Weltbild teilen.
Der Journalismus kann sich also die Mühe nicht ersparen, mit guten Gründen zu entscheiden, wer mit welchen Aussagen an einem sinnvollen Diskurs teilnehmen sollte und welche Argumente ansonsten den rechtspopulistischen Äußerungen, ja dem gesamten Weltbild entgegengesetzt werden sollten. Zu diesem Zweck muss er auch sehen lernen, was er selbst nicht sehen kann, also die blinden Flecken, die Ambivalenz seiner Professionalität. Den Medien kommt aber auch die Aufgabe zu, jenem Gefühl der Entfremdung eine selbstverständliche und positive Repräsentation vielfältiger Lebensweisen entgegenzusetzen. Gegen die gefühlte Heimatlosigkeit und Abgehängtheit sollte er kosmopolitische Identitäten anbieten, die diese Lebensweisen akzeptieren. Immer aber müssen sich die Medien wehrhaft erweisen gegenüber allen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und Ausgrenzung.
Benjamin Krämer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ludwig-Maximilians-Universität München.